Ich lese eher selten Bandmemoiren. Wenn es um Musikliteratur geht, dann eher Simon Reynolds oder Mark Fisher. Bei “The Spitboy Rule: Tales of a Xicana in a Female Punk Band” sieht es anders aus. Michelle Cruz Gonzales aka Todd Spitboy war die Drummerin der Anarcha-Punkband Spitboy aus der Bay Area. Und um die Geschichte der Band geht es im vorliegenden Buch.

spitboy

Die Autorin schreibt in einer ziemlich direkten Art. Teils sind die Episoden ziemlich schnell und nüchtern erzählt. Es gibt keinen negativen Tratsch und auf den schlechten Aspekten von damals wird nicht herumgeritten. Etwa in einer Episode auf der letzten Tour in Japan. Eher lapidar am Rande kommt durch, dass es Unstimmigkeiten gab:

“Ebullition label owner Kent McClard, who joined us on the tour and was critical of everything everywhere we went, was no help. Trying to stay positive, I refused to admit to myself that I avoided riding in whichever car Kent or Adrienne were in […]”

Irgendwo im Buch findet sich das Photo von einer Liste mit den Tourdaten der Europa Tour 1993. Auf einem dieser Gigs war ich, mitten in der pfälzischen Provinz in einer Stadt namens “Dergehm”, wo es damals obskurerweise eine vitale Hardcorepunk Szene gab. Die Band hinterließ einen bleibenden Eindruck bei mir und mit dem Shirt lief ich jahrelang herum. Damals fanden alle die Band gut, sie verkörperte unsere Ideen von Gleichberechtigung. 4 Frauen auf der Bühne, die extrem tough auftraten – das war damals ziemlich außergewöhnlich.

Dabei war für uns vielleicht eine Sache ganz wichtig: Leute vom anderen Ende der Welt kamen in unser Provinzkaff – und sie hatten dieselben Ideen wie wir. Es ist interessant, die Geschichte von der Perspektive der Bühne aus erzählt zu bekommen. Von der anderen Seite des Ozeans aus. Zumal ich das Buch gerade im Dog Eared Books Buchladen im Mission District in San Francisco entdeckt habe.

Und der Band ging es nicht anders als mir. Ich fand damals Dorf ziemlich blöd und wollte die gefährliche Großstadt entdecken. Dasselbe passierte Spitboy, ein paar Jahre zuvor. Die Autorin schreibt, dass sie selbst damit kämpfte mit ihrer kleinstädtischen Herkunft aus Tuolumne.

“When Nicole, Suzy, and I got to San Francisco in 1987, everyone seemed so much more sophisticated, so much more punk. We weren’t hicks, but we had grown up in a hick town and we didn’t want it to show.”

Irgendwie war das immer Punk, das Nicht-Dazugehörig-Fühlen, das Suchen nach Identität. Und das war im Fall von Todd Spitboy noch mehr Anecken mit Gesellschaft und der Punk-Szene: als Frau, als Feministin, als Latina, ohne Mittelklasse-Background und mit alleinerziehender Mutter.

Nur bleibt der Teil mit der Identitätspolitik vage. All das Suchen – wo endete es? Wofür hat es sich gelohnt? Und was denkt sie aus heutiger Sicht?

Dabei gäbe es sicher Anknüpfungspunkte, da einiges von den Diskussionen von damals bis heute brandaktuell ist. Auf Punkkonzerten stehen bis heute hauptsächlich – inzwischen ergraute – Jungs auf der Bühne. Andererseits gibt es bis heute Debatten um Identität, in denen Musikerinnen und Musiker mit dem Vorwurf der “cultural appropriation” bedacht werden. Die Autorin war 1993 jedenfalls ziemlich sauer, als ihrer Band damals der spanische Titel “Mi cuerpo es mio” als“cultural appropriation” ausgelegt wurde von einer Frau aus dem Riot Girl-Umfeld.

Themen wie dieses werden jedenfalls angesprochen. Das Buch schafft diesen Spagat: einerseits die Kämpfe von damals zu erwähnen, andererseits die guten Geschichten vom Touren zu würdigen. Und man merkt beim Lesen noch den produktiv genutzten Ärger der Autorin. Und wahrscheinlich ist genau das der Geist von Spitboy.

Verlagswebsite PM Press zum Buch
Diskographie von Spitboy auf discogs