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Irgendwann merkte ich, dass sie überschritten war, meine rote Linie. Ich stelle das meistens erst hinterher fest. Ein Kompromiß folgt auf den nächsten. Es ist in der Regel kein riesiger Tabubruch, sondern ein schrittweises Hineinbewegen ins dieses Terrain. Und irgendwann merkte ich: das geht so nicht klar.

Ich möchte keine weitere Moritate über die geistig-moralische Verkommenheit des Musikbusiness abliefern. Jeder der mitmacht, kennt die Schattenseiten. Und davon gibt es jede Menge. Grundvoraussetzung für jeden Musiker ist ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz. Denn von weniger guten bis eher blöden Erlebnissen gibt es eine ganze Menge. Gigs, auf die man sich monatelang gefreut hat, die sich als totaler Fehlschlag entpuppen. Man reist tausende Kilometer an, nur um festzustellen, dass das Festival mit 5 Floors in irgendeinem gottverlassenen Dorf im Wald hinter Moskau stattfindet. Und auch nur 30 Besucher da sind. Das ist großartiger Stoff für mythische Geschichten, ich möchte diese auch gar nicht aufbauschen denn auch das Gegenteil tritt ein: fette Party, volles Haus, alles gut.

Im konkreten Fall sollte ich in einer Stadt im benachbarten europäischen Ausland als Liveact auftreten. Versuch eins im Frühjahr versandte bereits im Nichts. Bei Versuch zwei wurden erst unzählige Facebook-Nachrichten ausgetauscht. Irgendwann wurde das Datum verlegt, da angeblich irgendwelche Probleme mit der Venue. Ich sollte nach dem Zug gucken, okay, machte ich. Dieser hätte unglaubliche 39 Euro pro Fahrt gekostet. Als ich dem Veranstalter dies mitteilte, verwies er auf den Bus – viel billiger für nur 19 Euro! Und brauchte auch nur über 9 Stunden 39 Minuten statt knapp 6 Stunden mit dem Zug. Auch hier weiterführendes Gefeilsche. Als es vom Veranstalter final hieß “gut, dann buch mal die Tickets” kam ein paar Stunden später die Nachricht von ihm hinterher “kannst du am nächsten Abend noch in einer anderen Stadt spielen?”. Ein Glück hatte ich die Tickets noch nicht gebucht. Wenn dem Veranstalter 2 Wochen vor der Veranstaltung solche Gedanken kommen, dann kann ich daraus nur auf horrende Verpeiltheit schließen. Habe ich Lust, mich darauf einzulassen? Ich halte es mit Bartleby: “I would prefer not to.”

Warum mache ich überhaupt Musik? Sicher nicht wegen der monetären Komponente, denn dies Bezahlung ist im Vergleich zu jedem noch so schlecht bezahlten Job ein Witz. Zumindest in denen Bereichen, in denen ich mich bewege. Die Erkenntnis: dann doch eher, weil es Spaß machen könnte und man mit Leuten Interessen in Sachen Musik teilt.

Auch das funktioniert nur noch begrenzt für mich. Ich fahre zu Parties und die Veranstalter präsentieren mir stolz den Flyer ihrer 2. Party. Wenn ich dann erwähne, dass ich seit knapp 20 Jahren Musik produziere, scheint ungläubiges Entsetzen aufgrund der Altersdifferenz durch. In Sachen Bands und DJs hat man meist keine gemeinsame Basis – die kennen ja nichts! Mann, ist das langweilg, diese Anfang-20er mit Dauerkiffen und irgendwas-mit-Comedy-gucken und mit seinen Buddies auf der Couch rumhängen und nicht so recht-wissen, ob man ein Studium anfängt. Ich fühle mich am wohlsten mit alten Herren und Damen aus meiner Alterskohorte, mit denen man schon vor 10 Jahren irgendwelche Platten oder Parties gemacht hat und gemeinsame Erfahrungen teilt. Das sind alles Musiknerds, die einen breit angelegten Musikgeschmack in den Verästelungen der hinterletzten Kapillaren der Obskuritäten haben. Egal ob es man sich auf einem Rave um Spät-80er-Death Metal unterhalten kann oder die Verschaltungen in selbstgebauten, modularen Synthesizern oder im Berghain nach Remarc die Implikationen des unvollendeten Band III des Kapitals durchdiskutiert. Oder ob Earth mit den Vocals auf “Primitive and Deadly” großartig klingen oder voll daneben gegriffen haben. Sowas eben.

Die Sache mit den Auftrittsbedingungen scheint im regulären House / Techno bereich anders zu laufen, siehe Berichten wie dieser auf kraftfuttermischwerk. Mir fällt dabei nur auf: nicht meine Welt. Ich habe es mir ausgesucht in der Nische zu bleiben. Schulterzucken: Ist halt so. Ich brauche da nichts als “Underground” zu überhöhen, es interessieren sich eben nur eine begrenzte Anzahl von Hörern für diesen spezifischen Sound und fertig.

Ohne das D.I.Y. Ding irgendwie überhöhen zu wollen, aber dahinter stand wenigstens die Absicht, es den eingeladenen Artists so angenehm wie möglich zu gestalten. Alle machen selbst Musik, man findet das ganz gut, was der andere macht und bemüht sich. Und das ist mir dann allemals lieber als die Nummer mit “schniiiief… jaaaa, ich buch mal geil den DJ aus Berlin…. zieeeh… das macht mich zum Party-Promoter, wir machen hier mal dick auf Business”. Ich möchte hier erstmal nichts Verallgemeinern: ich kenne genügend Punk-Bands, die die miesesten Scheißgeschichten von Gigs auf Tour mitgebracht haben. Und ich habe andererseits auch professionell durchorganisierte Parties und Konzerte erlebt, bei denen ich super-fair behandelt wurde, die vereinbarte Gage bekam und alle Beteiligten erfreut waren. Und es gibt auch da Selbstschutz-Ideen, um sich gegen unzuverlässige Veranstalter abzusichern, etwa die Schale mit den braunen M&Ms. Oder das Outsourcen des Bookings an eine entsprechende Agentur, wobei das auch seine Tücken hat.
Aber irgendwo dann doch: wenn es nicht wie erwartet läuft, hat man mit D.I.Y. oft den besseren Deal. Ich arbeite nebenher in einer Konzert-Venue mit. Als die Tzadik Band Les Rhinocéros dort spielte, verirrten sich nur wenige Leute auf das Konzert. Free Jazz im Punkerladen, das ist schwergängige Ware. Trotzdem war der Abend für die Band gut, die Jungs bedankte sich noch überschwänglich am Ende und man unterhielt sich über 7/8 Beats und der Drummer erzählte, dass er selbst Breakcore produzierte habe.

Also: Wenn ich schon keine Bezahlung erhalte, möchte ich wenigstens eine gute Erfahrung machen. Und ich bin inzwischen so risikoscheu, dass ich lieber verzichte, als mir eine anstrengende Reise ins Ungewisse zu geben, wenn der Wetterbericht schon Scheiße vorhersagt. Nee, ich habe keine Lust 20 Stunden im Bus zu verbringen, nur um mit deinen Druffi-Freunden und alle so voll auf Speed Party zu machen nur um dann ohne Schlaf wieder heim zu fahren. Kenn ich schon, oft genug gehabt, danke.

Und in dem Gedanken, dass ich mit dem Bus fahren soll, weil Zug zu teuer, scheint extrem hässlicher Geiz durch gepaart mit Empathielosigkeit. Darauf habe ich keine Lust, und in Sachen Frustrationstoleranz bin ich heutzutage eher dünnhäutig. Irgendwann geht es dann nicht mehr um etwas Aushandelbares oder ein paar Euro mehr oder weniger, sondern um etwas Grundsätzliches: meine Würde. Unter solchen Bedingungen spiele ich nicht, mach deine Party mal ohne mich.

PS: Natürlich ging die Geschichte weiter. Ich sollte das Follow-Up “Knüll deine Frustration zu einem Ball zusammen und lass ihn explodieren, anschließend scheint die Sonne” schreiben. Vom Rant zur Katharsis.