Waiting wies auf die Lesung von Bini Adamczak bei b_books am 31.3. hin.
Katja Diefenbach hielt eine kurze Einführung und Bini Adamczak las einige Seiten aus ihrem Buch “Gestern Morgen” vor. Nicht wissenschaftliche Geschichtsschreibung noch objektiven Kriterien, sondern Bezugnahme auf die ermordeten AntifaschistInnen und KommunistInnen war das Anliegen von Adamczak. In der Lesung wurden ausgehend von einer literarischen Beschreibung vornehmlich die Ereignisse der späten 1930er Jahre in der SU unter der “großen Säuberung” thematisiert. Allerdings wollte Adamczak ihre Sichtweise nicht auf diesen Zeitraum, einen konkreten “Punkt des Umschlags” reduziert wissen – gerade die Suche nach einem bestimmten Zeitpunkt, ab dem alles schlecht geworden sein soll, hielt sie für illusionär.
Die Diskussion anschließend drehte sich u.a. um religiöse Elemente in kommunistischer Utopie, insbesondere den Begriff des Messianismus.

Angenehm waren die recht langen und detaillierten Redebeiträge der anwesenden Gäste – und auch die später Veranstaltungszeit von 21 Uhr. Ebenso ist der b_books-Buchladen eine für Lesungen ideale Location.

Einige fragmentarische Gedankengänge anschließend an die Veranstaltung (ich habe das Buch nicht gelesen) bezüglich des Aspekts des Gedenkens bei Adamczak.
In Deutschland wird ein kommunistisches Gedenken entworfen? Gerade da beschleicht mich ein diffus ungutes Gefühl: Warum kommt man gerade 2008 im Land der “Erinnerungsweltmeister” auf die Idee eines Totengedenkens? Welches Kollektivsubjekt gedenkt hier toten KommunistInnen und warum; warum gerade jetzt?
Hier sehe ich prinzipiell einige Probleme, da kollektives Totengedenken traditionell nationale Angelegenheit ist. Gedenken ist eine Memorialpraxis, die historisch den Kriegstod von Soldaten als Heldenopfer verklärte und sich erst langsam nach der Shoa transformierte, um das industriell Massenmorden verarbeiten zu können – bzw. im deutschen Fall – zu müssen.
Und darin ist die Bundesrepublik vielleicht das fortgeschrittenste Modell: die Shoa wurde durch Trauerarbeit in bisher nicht gekanntem Maßstab als politisches Hindernis für Deutschland entsorgt. Dieser Wandel wird Deutschland etwa auch in Israel abgenommen. Das kann man sicher als Erfolg der deutschen Bestrebungen bezeichnen. Wie weit nimmt Adamczak diese Erkenntnis in ihre Idee mit auf und kritisiert Gedenken? Ehemalige Konzentrationslager in Deutschland wie Sachsenhausen gedenken auch der Zeit als NKWD-Lager.
Wenn ich Adamczak richtig verstanden habe, geht es ihr um eine gegenhegemoniale Gedenkpraxis, die in Widerspruch zum Gedenken der Sieger des Kalten Krieges steht.
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Wer gedenkt? Der Fall ist weniger klar, als beim nationalen Holocaust-Gedenken, bei dem am drastischsten zwischen dem Gedenken im Staat der Opfer und dem im Staat der Täter unterschieden werden kann. Im Fall der Ermordeten des Sowjet-Kommunismus bei Adamczak ist das einiges unklarer. In welcher Relation steht ein heutiges „wir“ zu ihnen?
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Wem wird gedacht? Ein Problem, und das wurde auch in der Diskussion angesprochen, ist die fehlende Bezugnahme auf die namenlosen Toten: BäuerInnen, als Kulaken klassifizierte etc.
Genau da droht das Projekt von Adamczak in Identitätslogik umzuschlagen: „KommunistInnen gedenken toter KommunistInnen. Wer sollte es sonst tun?“ Wird damit nicht einer Identitätslogik die Tür geöffnet, die nur an den politischen nützlichen Toten interessiert ist, die die Opfer nach Gruppen sortiert? Und sich vor allem an denen Interessiert, die „zu uns“ gehören? Frage nach der Universalität der Opfer.
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Fragen wirft für mich die politische Dimension des Totengedenkens auf. Ohne das Adamczak als Absicht unterstellen zu wollen, läuft ihr Gedenken in Gefahr, ein machtpolitisches Projekt der Reinwaschung von Schuld zu werden. Der Verwirklichung eines neuen Kommunismus stünden nur seine unabgegoltenen Opfer entgegen, deswegen müssen diese betrauert werden. Der Zugriff auf das Erinnern ist damit aber – zumindest partiell – instrumentell. Er dient nicht der Erinnerung der Toten um ihrer selbst willen, sondern als Projekt zur Durchsetzung eines anderen politischen Ziels.
Andererseits: die Wiederholung des Geschehenen zu verunmöglichen ist eine zwingende Konsequenz der Betrauerung der Toten. Zweitens wäre gerade die Verwirklichung des Kommunismus die Einlösung der nicht erfüllten Träume der Ermordeten. Walter Benjamin? Das ISF Freiburg formuliert hinsichtlich der Shoa einen ähnlichen Gedanken: „Denn der Kommunismus, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft, verlangt, soll er gelingen, etwas Unmögliches: Rache für die Toten, für die Opfer der Barbarei; zugleich aber auch, daß niemand anders behandelt werde als nach seinem eigenen Maß: Gerechtigkeit für die Lebenden.“
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Was sich mir nicht erschloß war die Aussage, dass die Auseinandersetzung mit den Toten eines nach 1990 sei. Es würde heute de facto keine legitimen ErbInnen des Stalinismus mehr geben, mit denen man eine Auseinandersetzung führen könnte oder zu führen hätte – so Adamczak. Braucht man diese wirklich als real existierende GegnerInnen?
Was ist mit den realen MörderInnen von damals? [Als ob Gedenken immer dann zum Einsatz käme, wenn es garantiert nicht mehr um materielle Schadensersatzansprüche ginge bzw. real Verantwortlich dahingesiecht wären. Worte kosten nichts.]
An der Stelle wird mir nicht klar, warum hier recht lapidar alle Kritik am real existierenden Sozialismus abgehandelt wird. Was ist etwa mit der Ablehnung des Sowjetmodells durch die Mitglieder des Instituts für Sozialforschung?
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Geht es darum den Begriff des Kommunismus zu retten? Im Sinne von: „Nein, nein, das war zwar nicht der, aber ein Kommunismus“. Adamczak – und das halte ich für etwas wirklich Entscheidendes an ihrem Ansatz, macht mit dem Spiel der Linken Schluß, die negativen Auswirkungen immer nur auf „die Anderen“ zu projizieren. Die StalinistInnen, die MörderInnen, die Schuldigen – das waren immer die Anderen. Dass es sich alles nicht so einfach darstellt, zeigt Adamczaks Verweis auf kommunistische Biografien, von Margarete Buber-Neumann bis Leon Trotzki. Wie lässt sich hier noch zwischen Tätern und Opfern differenzieren? Hätten die vermeintlich Guten nicht genauso gehandelt?
[…]
Der Gedanke ist unerhört: Nicht das entrüstete Zurückweisen auf die Fragen nach den Massakern kommunistischer Herrschaft, sondern ein Bekenntnis zu Schuld. Es würde implizieren, ein gemeinsames „wir“ mit den StalinistInnen anzunehmen, um eine Wiederkehr dieses Mordens zu verhindern.