Am 12.12. fand die von Datacide organisierte Veranstaltung Culture Jamming – Media Actionism in the 21st century in der K9 statt. Der Laden war gegen 20 Uhr gut gefüllt. Gezeigt wurde zunächst die 32minütige, gleichnamige Dokumentation von David Schwertgen. Danach wurde das Podium eröffnet mit mir, Christoph Fringeli und David Schwertgen. Im folgenden eine Zusammenfassung aus Sicht eines Referenten.

Ich sprach kurz über Culture Jamming als bürgerliche Kunst. Die im Film gezeigten Ansätze stellten meines Erachtens bürgerliche Kunst dar, die im Kunstbetrieb (Museen, Ausstellungen) anzusiedeln seien – und keinen linken Aktivismus. Dabei lautete meine Hauptthese, dass gerade die Autonomie der Kunst dieser Unabhängigkeit verleihen würde. Ich fragte im Einklang mit dem Literaturwissenschaftler Peter Bürger, ob eine Aufhebung der Kunst (als Überführung in Lebenspraxis) denn überhaupt sinnvoll sei, denn gerade diese Autonomie würde Voraussetzung der Kritikfähigkeit von Kunst sein. Als Gegenbeispiel brachte ich die linke Variante der schlechten Aufhebung von bürgerlicher Kunst: Agit-Prop (und ansatzweise dem sozialistischen Realismus). Dieser würde Kunst in die politische Parole überführen und das sei abzulehnen. Gerade das in der Dokumentation gesehene Beispiel Molleindustria würde aufzeigen, dass auch in Museen Kritik möglich sei. Der Film von David Schwertgen würde sich erheblich von anderen Dokumentation mit einem ähnlichen Thema unterscheiden. Der schwedische Film “Surplus – terrorized into being consumers” von 2003 wurde von mir als negatives Gegenbeispiel und ästhetisch wie inhaltlich plumper Propagandafilm genannt.

Christoph Fringeli thematisierte in seinem Beitrag dagegen vornehmlich die Adaption von Medienformaten von britischen anarchistischen und kommunistischen Organisationen. Er führte verschiedene Beispiele an, wie Gruppen sich mit dem Format Boulevardzeitung auseinandergesetzt hatten. Teilweise als “Spoof”, also gefakte Zeitungen, die offizielle Zeitungen wie The Sun, Metro oder Evening Standard im Layout kopierten. Von der Gruppe “Classwar” wurde dagegen das Format Boulevardzeitung direkt übernommen und zur Agitation verwendet. Ebenso gäbe es bis heute noch kleinste Splittergruppen, die Tageszeitungen herausbringen würden, im Glauben an die Weltrevolution.
Ansonsten versuchte er die post-situationistischen Ansätze historisch einzuordnen. Insbesondere ab Ende der 1980er Jahre sei eine Fülle von neuen revolutionären Aktionsformen entwickelt worden: etwa die Idee eine proletarisches Raumschiff zu bauen.
Kurz ging er noch auf die Psychogeographie und psychische Attacken ein: der neoistische Versuch ein Karlheinz Stockhausen Konzert zu verhindern durch die Levitation des Gebäudes (spektakulär inszeniert mit Demo und Gegendemo).

Nach diesen beiden Vorträgen folgte die offene Diskussion Dabei wurde von einem Teilnehmer zunächst nach meinen Ausführungen zur Autonomie der Kunst gefragt. Ich meinte kurz, dass Autonomie eben nicht Selbstzweck der Kunst (l´art pour l´art sei Ideologie, wie alle materialistischen Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts bereits erkannt hätten) bedeuten würde und es mir darum ginge, das Kritikpotential von Kunst neu zu überdenken.Was sei das utopische Element der Kunst? Meine knappe Antwort: die Negation der bestehenden Verhältnisse. Ebenso wurde angemerkt, dass die in der Dokumentation gezeigten Projekte Information ästhetisieren würden – was ja nicht generell schlecht sei.
Ein anderer Teilnehmer merkte an, dass die in der Dokumentation gezeigten Beispiele Risse und Verwerfungen aufzeigen würden, und eine Rezeption nicht mehr eine eindeutige Lesart zulasse (meine Aufzeichnungen hören an dieser Stelle auf).
Eine Frage bezog sich auf die Produktionsverhältnisse der Situationistischen Internationale – wie habe diese sich finanziert? Dazu Christoph, dass sie auch nach dem Ausschluß von Asger Jorn durch den Verkauf von dessen Bildern finanziert worden sei. Ebenso wurde die Rolle von verschiedenen anderen Mitgliedern beleuchtet. Auch eine Organisation wie die S.I. müsse sich im Kapitalismus irgendwie finanzieren, dass sei nicht moralisch verwerflich, so Christoph.

Ein Einwand aus dem Publikum lautete, dass die im Film gezeigten Beispiele keine Avantgarde seien, sondern auf einem Denken beruhen würden, dass von weiten Teilen der Gesellschaft geteilt würde. Danach würden Nike und andere Konzerne kritisiert, also Globalsierungskritik als Konzernkritik betrieben. David Schwertgen antwortete darauf, dass die gezeigten Projekte keine Avantgarde seien, aber als Kunstformen gesellschaftlichen Fragestellungen thematisieren würden, was erstmal legitim sei. Ich merkte dazu an, dass ich es eher schlimm fände, wenn die gezeigten Kunstprojekte eine weitergehende Kapitalismuskritik enthielten, denn das würde vermutlich zu Plattitüden führen. Die Projekte würden gerade dadurch spannend, dass sie eben nicht eindeutig Position bezögen und eine platte Lesart vorgeben würden. Dagegen sei Culture Jamming, wenn es zu Kalle Lasn und Naomi Klein tendieren würde abzulehnen. David protestierte an dieser Stelle und meinte, dass er zwischen Lasn und Klein durchaus noch differenzieren würde. Lasn hätte ein großes Unternehmen und würde sich als Hobbyrevolutzer (das Wort “Anarchoclown” fiel) aufspielen, während einige Punkte von Klein durchaus Relevanz besäßen. David schloss daran an, dass die Projekte der Dokumentation zeigen könnten, wie bestimmte Systeme funktionierten. Sie seien aber kein klassisch-linker Aktivismus.

Ein anderer Einwand lautete, dass gerade die Thematisierung des amerikanischen Wahlsystems von einem Künstler aus einem postfaschistischen Land kritikwürdig sei. Mit der Aktion vote-auction.com von Hans Bernhard würde Antiamerikanismus geschürt. Dazu meinte David Schwertgen, dass die Intention von Hans Bernhard keineswegs antiamerikanisch motiviert sei. Die Aktion stamme aus dem Jahr 2000 und würde nach 2001 wohl so nicht mehr stattfinden. Dem Künstler sei es nicht um eine Kritik speziell an den USA gegangen. Ebenso sei für die Aktion ein Land mit einem ausgeprägten Medienapparat notwendig, was in kleinen Ländern – Österreich etwa – nicht gegeben sei.

Eine weitere Wortmeldung bezog sich darauf, was man vom Beispiel der werbefreien Innenstadt in Sao Paulo halten würde. Daraufhin der Einwand von mir, dass die Kritik von Werbung dazu tendieren würde sich an Phänomenen der Zirkulationssphäre festzumachen und deshalb generell problematisch sei. Allerdings sei der Frage, wie Innenstädte und der öffentliche Raum gestaltet werden sollten und von wem durchaus legitim. Auf der Webseite der Dokumentation ein Interview mit der Initiative Camp Kleister zu finden, welche Friedrichshain 2003 eine kurze Zeit lang komplett werbefrei machte.

Gegen Ende wurde noch das Thema Copyright angesprochen. David Schwertgen erzählte zuerst über seine Probleme mit der Lizensierung von Musikstücken, Filmausschnitten und abgefilmten Kunstwerken für seinen Film. Dabei seien es nicht nur die Großen unter den Rechteinhabern wie CNN, die Probleme machen würden. Einzig die Musikprojekte The KLF und Negativland hätten ihm sofort die Verwendung zugesagt.
Er sprach sich für die weitergehende Verbreitung von Creative Commons-Lizenzen aus.
Das Podium spitzte daran anschließend Argumente zu. Es wurde von mir der Widerspruch zwischen Interessen den Konsumenten und Produzenten angesprochen. Vielleicht sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass neben dem Filmemacher David Christoph Fringeli und ich kleine Plattenlabels betreiben, also die Produzentenseite auf dem Podium vertreten war.
Als Konsument habe ich das Interesse an kostenfreien Downloads, als Produzent daran, dass von mir hergestellte Medieninhalte gekauft werden. Das sei heute nicht mehr gewährleistet.
Dagegen wurde von Seiten des Publikums Stellung bezogen: Radiohead hätten gezeigt, dass es möglich sei, ein frei verfügbares Album anzubieten. Ebenso könnten unbekannte Bands über das Einstellen von mp3s auf myspace an Konzerte kommen. Dagegen hielt Christoph Fringeli, dass es Promotion, also das Versenden von Tonträgern schon früher gegeben hätte und die Praxis auf myspace nichts anderes sei, nur dass Labels damit heute kein Geld mehr verdienen würden. Einnahmen durch Live-Veranstaltungen würde es zwar geben, aber keinen Profit durch den Verkauf der aufgenommenen Musik mehr.
Ich machte auf das grundlegende Dilemma aufmerksam: einerseits erzählt man etwas von Kapitalismus abschaffen, andererseits ist man selbst in die Verhältnisse verstrickt und muss die Verwertung unerbittlich vorantreiben.Das bedeutet als kleines Label zur Zeit zu versuchen, auf die veränderten Rahmenbedingungen mit neuen Strategien zu reagieren, um weiterhin Geld zu verdienen. Meiner Meinung nach profitierte die Hardwareindustrie gegenüber der Content-Industrie. Generell, da stimmte das Podium überein, seien insbesondere kleine Labels von der Krise der Musikindustrie betroffen. Das Publikum war anderer Auffassung und warf uns Pessimismus vor. Insgesamt eine ähnliche Konstellation wie auf einem Panel auf dem 9to5-Festival letzten Sommer, wo die Fronten zwischen Musikschaffenden auf dem Podium einerseits und dem Publikum andererseits anhand der Frage nach der freien Verfügbarkeit von mp3s verliefen. David meinte noch, dass er aufgefordert worden sei, seinen Film umsonst ins Netz zu stellen – nur weil er einen Film über Culture Jamming gedreht hätte. Das sei rechtlich nicht möglich und Lust hätte er darauf auch nicht. Ebenso wurde er von einer Attac-Ortsgruppe eingeladen, die von ihm etwas über Culture Jamming-Strategien gegen den Bau einer Umgehungsstraße erfahren wollten. Das habe er abgelehnt, denn einen solchen Aktivismus würde er nicht teilen und sich einspannen lassen für bestimmte Projekte wolle er sich auch nicht.

Fazit Nicht alle Aspekte wurden hinreichend behandelt. Das Thema ist auch so ausladend, dass viele interessante Aspekte unberücksichtigt blieben. Gerade die Betrachtungsweise unter dem Gesichtspunkt “Medien” (eine Definition steht noch aus, wie von einem Teilnehmer bemerkt wurde) fiel nahezu völlig (bis auf Ansätze von Christoph) weg.
Alles an allem die bisher gelungenste Veranstaltung der Reihe von Datacide in der K9 mit den hochwertigsten Beiträgen aus dem Publikum und einer konstruktiven Atmosphäre. Dank geht von den Veranstaltern an Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sowie an die Helfer und den Regisseur David Schwertgen.

Weiterführende Links:
culture-jamming.de Homepage der Dokumenation von David Schwertgen.

Homepage des Datacide Magazine

Blog der Kommikationsguerilla
Seite der Herausgeber des gleichnamigen Buches, das 1997 erschien.

Go. Stop. Act! Buch herausgegeben von Marc Amann zur “Kunst des kreativen Straßenprotestes”.

Lorettas Leselampe – Rezension des Buches “Culture Jamming” von Kalle Lasn
Radiobeitrag der Sendung “Lorettas Leselampe” auf dem freien Radio FSK aus Hamburg mit einer Besprechung des Buches. Das Buch wird sehr kritisch betrachtet, der Ansatz als stark vereinfachte Kapitalismuskritik zurückgewiesen, ebenso wird der Antisemitismus von AdBusters Magazine thematisiert.