Im Rahmen der “Backjumps”-Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien fand gestern eine Buchverstellung von und mit Julia Reineke statt. Die Autorin ist Kulturwissenschaftlerin und freie Journalistin. Der Vortrag orientierte sich weitgehend am Inhaltsverzeichnis ihres Buches. Laut Autorin ist ihr Buch die erste wissenschaftliche Untersuchung in dieser Form zu Street Art und basierte auf ihrer M.A.-Arbeit. Sie untersuchte dafür seit 2002 schwerpunktmässig die Street Art-Szenen in Hamburg und London.

Sie beschrieb historische Entwicklungen: Aufkleber seien heute nicht mehr so verbreitet wie noch vor einigen Jahren, als sie noch massiv verklebt wurden und als Kommunikationsmittel zwischen den Künstlern eingesetzt wurden.
Die Hauptthese der Referentin war der Unterschied zwischen Bildender Kunst (von ihr als Hochkultur definiert) und angewandter Kunst (etwa Grafik, Werbefotografie, Graffiti). Street Art, ebenso wie Graffiti, falle in letztere Kategorie. Zur Beantwortung warum dies so sei, zog sie die Habitustheorie sowie die Kapitalsorten (ökonomisches, soziales, symbolisches, kulturelles Kapital) Pierre Bourdieus heran. Im Kunstfeld würden Gatekeeper (Galeristen, Kritiker…) darüber bestimmen, was zur Bildenden Kunst hinzuzurechnen sei. Unter Street Art-Künstlern sei der Sonderfall Banksy inzwischen im Kontext der Bildenden Kunst etabliert; seine Werke würden im Auktionshaus Sotheby´s für bis zu 240.000 Euro versteigert. “Bildende Kunst” wurde von weniger über Qualitäten des Kunstwerks abgegrenzt (darin unterscheidet sich Street Art wohl auch kaum von anderen Künsten) als über den sozialen Entstehungszusammenhang: Street Art findet in der Subkultur statt, Bildende Kunst im Bereich der hochkulturinteressierten Bürger.

Im zweiten Teil ging die Referentin auf Beispiele ein, wo Street Art zu Marketingzwecken eingesetzt wurde. So erwähnte sie den Fall einer “Turnschuhfirma”, die Street Artists auf eine Tour nach Asien schickte, wobei diese dort ihre Kunst vorstellen konnten und als einzige Bedingung Schuhe der Firma tragen mussten (Getreu dem P.R.-Leitsatz: “Tue Gutes und sprich darüber”).
Sich direkt der Mittel der Street Art bediente sich dagegen die Firma Puma 2003 in London, die mit Stencils ihr Logo an Wände sprühen ließ. Die Referentin erwähnte dazu, dass “cool” nur sei, wer mit “coolen Subkulturen” assoziiert würde – danach schöpft ein Konzern also das symbolische Kapital der Subkultur ab. Der Cultural Studies Vertreter und Subkulturforscher Dick Hebdige bezeichnet dies laut Referentin als “Cooptation”. Bleibt hinzuzufügen, dass sich ähnliches auch bei Guy Debord finden läßt, der diese Aneignung als Rekuperation definiert. An diesem Punkt im Vortrag, für mich interessant, wurde der Gedanke nicht weiter vertieft, es wurden weitere Beispiele aufgeführt.
Beispiel 3 war die Kooperation von “Solo One” und der Firma Boxfresh. Der Street Art-Künstler taggte Aufkleber der Marke und verklebte sie in verschiedenen Städten. Beispiel 4 dann Stencils des Radiosenders “Motor FM”, der in Berlin nicht Farbe sondern Sauberkeit versprühte: auf dreckigen Wänden wurde ein Stencil angelegt und die ausgeschnittene Folie mit Reinigungsmitteln saubergemacht; so umging man den Straftatbestand der Sachbeschädigung. Die wohl deutscheste und obrigkeitsfreundlichste Variante von rebellischer Kunst.

Zuletzt ging Julia Reinecke noch auf Shepard Fairey ein, der mit der Kampagne “Obey the Giant” populär wurde. Ihm wird von Street Art-Aktivisten “Sell Out” vorgeworfen, da er Geld mit dem Verkauf von T-Shirts verdienen und “zu kommerzielle” Aufträge annehmen würde. Die Autorin dazu: es kann jeder sehen wie er will, schließlich hätten die Künstler auch viel Energie in ihre Kunst gesteckt; andererseits wolle das Street Art-Feld die Zweckfreiheit der Kunst bewahren. Recht schwammig war es schon, dies auf eine Frage der subjektiven Meinung zu reduzieren.

In der Diskussion wurde dann das Beispiel der <a href=”http://www.rebelart.net/diary/?p=279”>New Yorker Gruppe Splasher, die Kunstwerke von bekannten Street Art Künstlern wie Banksy mit Farbe angreift und das ganze als politische Aktion sieht. Das fand die Referentin allerdings weniger gut, ihr fehle da der Respekt gegenüber dem ursprünglichen Kunstwerk. Ebenso folgte ein Hinweis darauf, dass sich manche Aktivisten ihr Wirken nicht als Kunst sondern als Vandalismus begreifen würden.

Vielleicht zu einem kurzen Fazit des Abends. Positiv: der Vortrag enthielt sehr viel Material, das anschaulich dargeboten wurde. Die Bildpräsentation vom MacBook erwies sich als interessant (obwohl hier streckenweise ein weniger hektisches hin- und herspringen zwischen einzelnen Bildern nett gewesen wäre). Die Entwicklung von Street Art und insbesondere die Beziehung zu verwandten Kunstarten und -techniken wurde plastisch verdeutlicht, der Überblick mit wichtigsten Vertretern und Kunstrichtungen war umfangreich.

Negativ: Vom hier vertretenen Kapitalbegriff braucht man erst gar nicht anzufangen. In der Diskussion gab es einen Einwand, nämlich dass das Verhältnis zwischen Werbung und Street Art nicht so einseitig sei, wie dargestellt: nämlich dass sich die Werbung der Street Art bemächtigen würde. Es handle sich eher um ein wechselseitiges Verhältnis. Der Einwand kam (wenn ich das richtig mitbekommen habe) von Christian Schmidt, der nächsten Dienstag am gleichen Ort zusammen mit Katrin Klitzke einen Vortrag hält. Genau an diesem Punkt wäre es für mich spannend geworden, allerdings schien der Rest vom Publikum das anders zu sehen und so streiften die Fragen dann verschiedene andere Sachgebiete. Es war in Ordnung, dass Kapitalismuskritik nicht Thema des Abends war, denn da wäre es blamabel geworden. Kunst wird danache – wie auch immer das gehen soll – autonom produziert und auf einmal kommt die böse Industrie und bemächtigt sich widerrechtlich der Produkte der Kulturschaffenden. So in etwa die durchschimmernde Logik des Abends.
Die Referentin reproduzierte dabei genau den Mythos, der von jeher von vermeintlich kritischen Subkulturen aufgebaut wird. Egal ob die verschiedenen Stilarten von Punk oder eben Street Art, das eigene Sein wird zur Grundlage der Ideen, mit denen man sich die Welt zurechtspinnt. So fiel dann auch der Satz, dass es Szeneaktive ok finden würden, wenn Street Art an kleine Skateboardfirmen verkauft würde, große Firmen seien aber indiskutabel. Schon ob Cleptomanix oder Ethnies “zu groß” und damit eine Zusammenarbeit moralisch verwerflich sei, darüber werde in der Szene gestritten.

Dagegen bleibt zu halten: Die Aufgabe von Ideologiekritik besteht darin, genau diese Arten von “Szenemoral” zu untersuchen und gegebenenfalls zu widerlegen. Die Externalisierung des Kapitalismus ist als verkürzte Kritik zurückzuweisen. Doch leider verstrickte sich die Referentin des Abends in genau diesen szeneinternen Widersprüchen: Geld verdienen mit Kunst sei im Endeffekt eine Einstellungssache des Individuums. Der Kunstschaffende kann es sich aussuchen, ob er bildende Kunst oder kommerzielle Kunst machen wolle oder nicht (allenfalls durch die finanziellen Ressourcen sei die Wahlfreiheit eingeschränkt). Falsch ist diese Beobachtung ja nicht, nur erklärt sie eben auch nichts.
Auf dieser akteurszentrierten Sichtweise basieren dann auch die ökonomischen Betrachtungen der Referentin. Nach diesem Schema ist die gute Street Art in der Selbstausbeutung angesiedelt, wo ständig produziert wird, die Produzenten aber aus selbstlosem Engagement kein Geld für ihre Kunst nehmen. Als potentiell böse Verlockung steht entweder das System bildende Kunst oder das Sponsoring durch Konzerne am Horizont. Kapitalismus wird zur Frage der Moral, zu der Frage nach den Entscheidungsoptionen des Einzelnen.
Allerdings erkannte die Referentin die Fallstricke streckenweise selbst. Mit Bourdieu begründete sie, dass “Street Credibility” im Street Art-Kontext symbolisches Kapital bedeute, das manche Künstler dem symbolischen/ ökonomischen Kapital des Hochkunstbetriebes oder der Werbung vorziehen würden. Weitergehend lässt sich dies weniger als idealistisches Handeln als eine ökonomisch-rationale Strategie. Verkaufe ich meine Kunst, dann sinkt mein Ansehen und damit der Tauschwert meiner Kunst. Getauscht wird auch hier.

Genau hier wird es spannend weiterzudenken: was produziert Street Art? Welche Art von Ware ist das, für die der Konsument nicht zahlt und die scheinbar kostenlos auf der Straße zu haben ist? Der Vergleich mit Werbung liegt auf der Hand, ebenso offensichtlich die Relevanz des Kulturindustriekapitels der “Dialektik der Aufklärung”, in der das Umkippen von Kulturindustrie in Reklame beschrieben wird.
Letzter Satz der Referentin: Sie halte es durchaus für bedenklich, wenn sich der Staat aus dem Kunstsponsoring zurückziehen würde und Firmen in die Lücke springen würden. Ein Kommentar dazu erübrigt sich, vielleicht die lustige Entdeckung, dass “backjumps” selbst u.a. vom Mobilfunkgeräterhersteller Nokia finanziert wird. Kapitalismus ist das, was irgendwelche großen Firmen betreiben, während Staat und gute Bürger fernab davon herumswursteln. Ehm… nicht ganz so.
Fazit: Die Empirie wurde von der Referentin sehr gut beschrieben; darin liegt die Stärke ihrer Ansatzes. Die Aussagen zu den theoretischen Hintergründen sollte man allerdings durchaus kritisch durchdenken.

Jedenfalls könnte der kommende Dienstag im Künstlerhaus Bethanien dazu recht spannend werden

Dienstag, den 31. Juli, 19 Uhr:
„Street Art – Reflexionen nach dem Hype” (Vortrag und Buchankündigung)
ReferentInnen: Christian Schmidt (Kulturwissenschaftler, Freier Mitarbeiter im Archiv der Jugendkulturen e.V.) und Katrin Klitzke (Kulturwissenschaftlerin)

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