Die Demonstrationen am vorletzten Juli- Wochenende gegen den G-8-Gipfel in Genua erinnerten eher an eine X-large-Version der Kreuzberger „Mai-Krawalle“ als die bisherigen Gipfelproteste. Statt der üblichen verbiesterten Öko-Protestler und geschäftigen NGO-Profis dominierten vermummte Jugendliche ohne Transparente und Fahnen das Stadtbild. Gerade diese im besten Sinne unkonstruktive und geradezu unpolitische Militanz ließ Genua im Vergleich zu Seattle im emanzipatorischen Sinne höchst sympathisch und begrüßenswert erscheinen. Die Empörung über die Schüsse von Göteborg, die die einen antrieb; die reine Lust am Kampf mit den Robotern des Staates, die die anderen antrieb – beide verrieten sie etwas von einem Moment des Aufbrechens; der Revolte. Sie waren Ausdruck einer ziellosen, nicht auf Vermittlung bedachten Rebellion, die wiederum vom Leiden an den täglichen, unerträglichen Zuständen herrührt. Daß Genua bisweilen den Charakter eines individualistischen Happenings bekam, sollte gerade nicht als Gegenteil von politisch motiviertem Kampf und theoretischer Reflektion (sic!) der Verhältnisse denuziert werden. Diejenigen, die an diesen drei Sommertagen ihre heimische Play-Station einsam zurückließen, um es dem höchstrangigen Personal des Kapitals und seiner Prügelgarde wenigstens einmal richtig zu zeigen, die taten bereits den ersten Schritt heraus aus dem stupiden Dasein bloß virtueller Zerstreuung; vielleicht – so steht zu hoffen- war dies zugleich die Motivation, die diesen Typus Demonstranten immun macht gegen die ideologischen Projektionen und somit realpolitischen Projekte der öffentlichen Wortführer wie der eingesessenen Organisationen der Antiglobalisierungsbewegung.
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Denn die Gewalt der Militanten traf in Genua keinen Unschuldigen. Sie war nicht geprägt vom Wunsch nach Vernichtung des Menschlichen, obgleich sie durchaus als sinnlose zu bezeichnen wäre. Sinnlose Gewalt aber der Sinnlosigkeit der Verhältnisse entgegenzusetzen, getrieben vom Wunsch nach Erringung nach Subjektivität, gerichtet gegen die ganz persönliche Zumutung des Alltags, ist das glatte Gegenteil der Gewalt im Namen repressiver Gemeinschaft mit dem Ziel der Auslöschung des eigenen Subjektstatus und der Subjektivität überhaupt. Die sinnlose Gewalt meint nicht den oder die Richtigen, weil sie sie nicht kennt und nicht kennen kann; weil man mit Steinen eben leider nicht den stummen Zwang der menschenverachtenden Vergesellschaftung beseitigen kann. Darin liegt gerade die Chance, daß solche Militianz der Personalisierung des Abstrakten widersteht, nicht hemmungslos gegen „die Amis“ und „die McDonald-Kultur“ zu mobilisieren ist.
Die Gewalt von Genua war also weder selbstverachtender Amoklauf noch vermittelbare Aktion. Sie war politisch nicht brauchbar zu machen, weil sie sich gegen die Brauchbarmachung austobte. Genau diese Inhaltslosigkeit von Riots brachte die gewaltfreien Globalisierungsgegner so sehr auf gegen die selbstbezogenen Indiviudalisten, die ihren Schmerz in namenlose Wut verwandelten.

Marcel Malachowski – “Die Gewalt ging nicht vom Volke aus.” Bahamas Nr.36, 2001