Fragmente über die Ambivalenz von Deutschtum und Hedonismus im Techno der 1990er Jahre, alles polemisch und subjektiv.

Orginal und Fälschung

“Techno ist die erste Jugendkultur im deutschen Raum seit dem zweiten Weltkrieg, die weder amerikanisch noch schwarz noch britisch dominiert ist. Zum ersten Mal ist Deutschland wieder ein Land geworden, in dem Neues gemacht wird. Und von wo es ausgeht.”

Christian Böhm-Ermolli, Junge Freiheit 1995
http://www.argekultur.at/kunstfehler/ShowArticle.asp?AR_ID=799&KF_ID=42

“…in der Techno-Musik auch wieder eine gewisse Identität gefunden haben, die so lange nicht da war. Man hat auch in Deutschland immer wieder probiert so zu klingen wie die Amerikaner oder so zu klingen wie die Engländer – musikalisch gesehen – und durch die Techno-Musik hier was… ja richtig wieder am aufwachsen ist, was… was eigentlich schon Kraftwerk und Leute wie Tangerine Dream, Eberhard Schöner damals schon in frühen Jahren angefangen haben.”

Sven Väth 1996, Arte Dokumentation “Universal Techno”
http://www.dailymotion.com/video/xz1b8_universal-techno-thema-arte-partie

Neudeutscher Siegestaumel und die Loveparade
1989: Die Mauer fiel, Deutschland war wiedervereinigt und schon war Techno zur Stelle um das neue, vermeintlich friedliche und multikulturelle Deutschland kulturell zu repräsentieren. Zwar wurden die Vorstudien dazu schon in West-Berlin und der alten Bundesrepublik betrieben; richtig durchsetzen konnte sich der Sound der wiedervereinigten Jugend (nein, David Hasselhoff konnte die deutsche Jugend damals mit “I´ve been looking for freedom” nun wirklich nicht vom Hocker reißen) erst durch die historischen Umstände. Denn gerade die europäischen Nachbarstaaten waren überhaupt nicht von der deutschen Wiedervereinigung begeistert. Insbesondere in Großbritannien unter Margeret Thatcher gab es starke Vorbehalte gegen ein wiedererstarkendes Deutschland. Nachdem die politische Führung glaubhaft versicherte, dass Deutschland brav sein würde, setzten Frankreich und Großbritannien auf die stärkere Einbindung Deutschlands ins europäische (und militärisch-westliche) Institutionengefüge. Diese europäische Einbindung und die generelle Friedlichkeit mußte glaubhaft zum Ausdruck gebracht werden.
Man war wieder wer! Nur wer? Veranstaltungen zur Findung der neuen nationalen Identität in einer veränderten Welt waren notwendig.
Die sogenannte Zivilgesellschaft mußte ihren Teil zur Inszenierung dieses Images beitragen. Man veranstaltete in der ehemaligen Reichshauptstadt wieder Paraden; diesmal mit dem Ziel der Außendarstellung des neuen Deutschlands. Auch in Großbritannien tanzten Leute zu Techno im Freien und das mobile Sound System gab es sicherlich schon im Jamaika der 1960er Jahre. Nur in Deutschland mußte man es als “Parade” bezeichnen und als erster erfunden hatte man es sowieso.

Das passte nur gut zum damaligen Berlin-Taumel. Berlin! Berlin! Alle Welt will nur Berlin! So dachten zumindest die Deutschen im Wiedervereinigungswahn, schließlich war man ja auch im Fußball laut dem Kaiser auf Jahre unschlagbar und der Mittelpunkt des Weltgeschehens. (Gerade das Gegenteil sollte später der Fall sein, da Deutschland nicht mehr die Front des Kalten Krieges markierte, aber das ahnte man damals noch nicht.) Jedenfalls war allen Beteiligten klar, dass Deutschland wieder eine “richtige Hauptstadt” brauchte. Bonn galt nie als vollwertig. Der Einigungsvertrag 1990 legte Berlin als Hauptstadt fest. Allerdings mußte die Stadt erst noch kulturell zu etwas bedeutendem gemacht werden und da kam die Loveparade gerade recht.

Die Loveparade – sicher nicht bewußt als solche geplant – sorgte sicherlich massiver für einen Wandel des deutschen Bildes in der Welt als alle staatlichen Kulturinitiativen davor. Wenn Deutsche Spaß haben, dann maximal im Bierzelt – von wegen! Das hier war kein deutsches Bierzelt und auch kein Karneval, sondern eine Veranstaltung auf der Höhe der Zeit. Jugendliche aus allen Ländern Europas wollten an diesem Spektakel teilhaben. Freiwillig, wohl gemerkt.

[…]

Rechtsradikal und Deutschtum
Das Unbehagen gegenüber der teutonischen Version von Rave war marginal präsent. Alec Empire war einer der wenigen, der die biedere “Friede, Freude, Eierkuchen”-Mentalität der deutschen Technoszene aggressiv kritisierte.

In größerem Maße wurde dies erst mit dem Erfolg seiner Band Atari Teenage Riot ab 1995 rezipiert. Angetreten war diese um den Great Rock´n Roll Swindle nochmals durchzuspielen – allerdings radikaler. Slime meets Underground Resistance. Kurze Parolen wurden über verzerrte 909-Drumpattern und Breakbeats geschrieen. “Deutschland has gotta die” war sogar für Linksradikale dekodierbar und nachdem diese Linke gerade ein paar Jahre versucht hatte die Schnittstellen zwischen HipHop und ihrer Politik auszuloten, wurde dasselbe nun mit dem Techno-Punk-Hybrid probiert. Über diese eine Band hinaus kam es aber nicht, da der Rest der Acts vom Digital Hardcore Recordings Label viel zu irrwitzig für den linken Musikgeschmack war, der immer nur auf Bierzeltmusik aus war.

Doch schon vor ATR wünschte sich Alec Empire 1994 in einem Liedtitel den “Sieg über die Mayday-HJ”. Trotz des drastischen Vergleichs lag er mit der Gleichsetzung der deutschen Technojugend der 1990er Jahre mit der Jugendbewegung ihrer Großeltern nicht gänzlich falsch. Die Vergangenheit wurde nicht aufgearbeitet sondern entsorgt, die Deutschen inszenierten stattdessen alljährlich in der Mitte Berlins eine Propagandaschau, die ihren geläuterten Charakter der ganzen Welt zeigen sollte. Als in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 und vielen anderen Orten der Deutsche bewies, wie offen und multikulturell er war, schwieg die deutsche Technoszene dazu, bis auf einige sehr wenige Ausnahmen wie etwa das Frankfurter Label Force Inc. von Achim Szepanski mit der Compilation “Destroy Deutschland!” (darauf vertreten: Alec Empire). Theoretisch war dieses Label ansonsten beeinflußt von den postmodernen Philosophen Jean Baudrillard und Gilles Deleuze (siehe Veröffentlichungstitel wie “Kool Killer” oder der Name des Sublabel “Mille Plateaux”). Gegen das damalige Deutschland und die Heuchelei der Technocommunity fand Force Inc. aber die richtigen Worte.
Denn diese gab sich weltoffen und tolerant, hier sollte der Ort sein, wo als Ausländer definierte Menschen nicht totgeschlagen würden sondern an der deutschen Inszenierung teilhaben konnten. Aber schon das war mehr Schein als Sein und auch im Techno wurde Rassismus und Nationalsozialismus gefröhnt. Wie etwa der Frankfurter DJ Dag, der etwa mit Reichskriegsflaggen-T-Shirt auftrat.http://www.montrealmirror.com/ARCHIVES/1997/032797/music1.html

Doch offen rechtsradikale DJs waren die Ausnahme. Eher die Regal war das Gebahren einiger Protagonisten, die unfreiwillig Einblick in ein weit verbreitetes Denken gaben: Sven Väth ist nicht nur bester Freund der Böhsen Onkelz und ließ 2001 im Magazin Groove verlauten, dass es keinen Rechtsradikalismus im Techo gäbe und sich Initiativen dagegen nur künstlich wichtig machen wollten. http://www.freitag.de/2002/30/02301101.php
Der Loveparade-Gründer Dr.Motte wartete 1995 mit dem Satz auf: “Dies ist mein Aufruf an alle Juden der Welt: Sie sollten mal eine neue Platte auflegen.” Was ihn nicht daran hinderte, sein Exportmodell Loveparade auch nach Israel zu verkaufen und bis heute seinen kruden Mix aus Esoterik und Weltverbessertum zu propagieren.
Der DJ Paul van Dyk, international dick im Geschäft, produzierte 2005 mit Peter Heppner “Wir sind wir” und wollte am neuen deutschen Selbstbewußtsein im Pop mitwirken.

Andererseits: es gab etwa den einflußreichen Tresor Club, dessen Macher schon immer die Wurzeln von Techno in Detroit betonten.

Linksdeutsche vs Techno-Hedonismus
Techno wurde von deutschen Linken als hedonistische Veranstaltung kritisiert. Der Begriff der “Spaßgesellschaft”, der erst später common sense werden sollte, gegen denn hatten nahezu alle Linken etwas. Mit einem obskuren Verständnis des “Politischen” sollte kulturellen Phänomenen nur dann ein politischer Gehalt zuerkannt werden, wenn diese entweder von Linken ausgingen oder der politische Gehalt in klaren, parteipolitischen Parolen formuliert wurde. Das ZK bestimmt, was politisch ist. Günter Jacob schreibt über die Einordnung von Techno aus Sicht der Linken, dass dieser als “unechte Gemeinschaft von Konsumenten” mit einem “apolitischen Hedonismus” wahrgenommen würde. Dagegen meint er: “Die Love Parade ist also durchaus als politische Protestaktion einzuordnen – als Demonstration für ein noch weißeres Weiß.” http://www.rock-links.de/texte/protestsong.htm Mehr Sinnlichkeit, mehr Leben, mehr Kunst – damit ist die Loveparade laut Jacob nicht weit von der Praxis der 68er entfernt, die als Protestsform dem unwahren System die wahren Bedürfnisse gegenüberstellten. Weit entfernt – allerdings minus einem lustvollen Körperbekenntnis – war die Keimzelle der linken Politikkultur der 68er damit nicht von den Autonomen. Diese setzten ja auch ihre Kultur gegen das System. Damals noch als politische Gegenkultur hatte man selbst autonome Räume geschaffen, wo der Kapitalismus draußen blieb. Genial – einfach die Tür zuschließen und schon lebte man in der befreiten Gesellschaft. Nur dass dieser ahedonistische Hedonismus so unattraktiv war wie seine Protagonisten.

Dieses Selbstverständnis deutscher Linker als “authentisch” sorgte für eine konservative Kritik an Techno: diese Kultur sei nicht authentisch, kommerziell und sell-out und deswegen abzulehnen.
Hatte die meiste Popmusik Anfang der 1980er Jahre noch ein ironisches Verhältnis zu Konsum und Kommerz wie etwa Heaven17 (deren Yuppie-Gestus als Ironie und Kapitalismuskritik gelesen werden konnte), so stellte Techno demonstrativ die Freunde am Konsum von Waren in den Mittelpunkt. Farbige Flyer mit Firmen als Sponsoren warben für Partys, man kleidete sich mit teuren Club- und Streetware-Brands ein und schüttete teure Energydrinks den Rachen hinunter.
Insbesondere Autonomen mußte dies wie Blasphemie an ihren Werten erscheinen. In linksdeutschen Häusern kam Techno dann auch sehr spät oder gar nicht an. “Krawallästhetik statt Yuppieambiente” wurde in der Roten Flora in Hamburg gefordert oder “Hang the DJ” im AZ Heidelberg an die Wand während einer Techno-Party 1996 gekritzelt. Menschen, die ihre Körper lustvoll zur Schau stellten und offensichtlich Spaß am Tanzen hatten, passten nicht ins Bild deutscher Lutheraner mit dem Faible für sackartige Kleidung. Zudem galt die Musik als suspekt. Techno und links – das ging eigentlich gar nicht, da Linke immer etwas zum mitsingen brauchen. Erst mit dem Aufkommen von Electroclash und dem Bezug auf Punk, dem Rückgriff auf eine konventionelle Song-Struktur und der Rückkehr von Vocals kam ein Nachläufer von Techno mit 15 Jahren Verspätung in Teilen der linken Szene an.

Die Autonomen hatten eine Ahnung davon, dass sie selbst ein historisches Auslaufmodell der Popkultur waren und dass mit dem Eindringen dieser Aliens in die abgeschotteten Idyllen sich eben diese Idyllen verändern würden. Heute gibt es Parties mit elektronischer Musik in der Flora. Andererseits linksdeutsche Normalität: bis heute erfreut man sich an 80erPop-Parties und anderem Retro-Schmonz, Punkrock und Wursthaarfrisuren. Leider war Techno dann irgendwann das Auslaufmodell und wurde – wenn auch an anderen Locations – genauso konservativ über den eigenen Tod hinaus weiterzelebriert wie die Kultur der autonomen Szene.

Fazit
Das Projekt Techno hatte um die Jahrtausendwende ausgedient. Die Teilnehmerzahlen der Loveparade, deren Relevanz seit 1996 für die Szene kontinuierlich zurückging, gingen ab 1998 bis zum Ende 2003 ebenfalls zurück.
Mit der Jahrtausendwende war auch das Jahrzehnt von Techno vorbei. Die Musik hatte sich über die zweite Hälfte des Jahrzehnts kontinuierlich ausdifferenziert und wurde immer weniger zu dem einen Massenphänomen. Irgendwann kam dann wie in der Popmusik üblich der nächste Trend und der “zweite Jugendstil” (Roger Behrens) hatte seine Relevanz überdauert und fristet seitdem in verschiedenen Nebenströmen von Pop sein Dasein.