“Musikclips von MTV geben einen guten Überblick über Arten, wie Menschen sich gebärden und aussehen können: dicke, dünne, lange und kurze, in Schwarz, Weiß, Gelb, Rot und cross over. Das Showgeschäft kultiviert geradezu die Paletten der Rassen und die Abweichung von der Norm. Ist eine Figur besonders schön, dann überschlägt sie sich zur Karikatur des Normalen. Pop folgt dem Gesetz der Mode: dem ständigen Überreizen der Regel.”

– Beat Wyss: Pop zwischen Regionalismus und Globalität

Nachträglich eine Auseinandersetzung mit der nicht mehr so ganz neuen “anti-lookism”-Kampagne: http://lookism.info/
Dabei versuchen Aktivistinnen und Aktivisten die Diskriminierung durch Schönheitsnormen zu thematisieren mit Hilfe von Street Art und Austellungen.

Abgesehen von dem zweifelhaften künstlerischen Anspruch (die Verwendung von bekannten Comic-Charakteren wird seit Jahren unsäglich auf Antifapostern durchexerziert) sind die Inhalte nicht weniger fragwürdig. Symptomatisch dafür ist die Verwendung von Schneewittchen aus dem Disney-Zeichentrickfilm von 1937, der eine Maschinenpistole in die Hände montiert wurde. Diese Verfremdungstechnik, die auf einen Schockeffekt durch die gleichzeitige Verwendung von Unvereinbarem setzt, wurde 1993 von der Barbie Liberation Front verwendet um “die sexistische Beeinflußung der Kindern als terroristischen Akt ins Bewußtsein zu rücken”, wurde (vgl. Handbuch der Kommunikationsguerilla, S. 116).

Es bleibt die Frage offen worin in Zeiten, in denen Frauen als Polizistinnen und Soldatinnen Waffen tragen, der Schockeffekt bestehen soll. Dass mit Schneewittchen ausgerechnet eine Zeichentrickfigur von 1937 verwendet wurde, mit Wespentaille und Kulleraugen, passt nur zu gut: damals war die Welt noch in Un-Ordnung, Frauen hatten ihr festes Bild in Gesellschaft und Kulturindustrie. Dass die Charaktere von damals heute zumeist nur als Parodie taugen, fällt dabei aus dem Raster der “lookism”-Aktivistinnen und Aktivisten. Heutige Sendungen wie “Drawn Together” oder “Harvey Birdman” karikieren genau diese Art von klassischen Comiccharakteren durch die Überzeichnung sämtlicher Merkmale ins Klischeehafte. Niemand, weder Produzenten noch Konsumenten, würden eine Darstellung von 1937 heute noch Ernst nehmen. Das heisst nicht, dass die heutige Ironie weniger affirmativ ist. Nur wird eben nicht mehr die eine Norm in kulturindustriellen Produkten abgebildet; vielmehr werden Normen moduliert. Eine augenzwinkernde Kritik an ihnen wird Teil der Darstellung, die Kritik in die Kulturindustrie eingeschrieben. Gerade hinsichtlich der Frage nach der Norm von Schönheit sind die beiden “Shrek”-Filme auf der Höhe der Zeit. Auch dicken, grünen Ogern soll das bürgerliche (bzw. us-amerikanische) Glücksversprechen nicht verwehrt bleiben.

Comics und Cartoons zeichnen sich seit jeher wie Karikaturen durch eine Überzeichnung von Eigenschaften aus. Dieses Prinzip ist heute bis ins Extrem getrieben. Nur kann an den Bereich des Phantastischen, des Utopischen (und sei es die “Heile Welt”-Idylle der frühen Disney-Filmproduktionen) schwerlich der Maßstab der Realität angelegt werden. Genausowenig wie Horrorfilme die Zuschauer zu Serienmördern machen (und auch Dauereffekte nicht nachgewiesen werden konnten), bringt der fiktive Charakter Schneewittchen die Zuschauerinnen und Zuschauer dazu, entsprechende Körpermaße besitzen zu wollen.

Doch genau diese Manipulationshypothese wird von der Anti-Lookism-Kampagne verbreitet:
“Schon beim bloßen Einschalten des Fernsehers, dem Blick auf Werbeplakate oder beim Surfen im Internet wird mensch von Lookism überschwemmt. Ob es die nach äußeren Kriterien ausgesuchten Schauspieler_innen, Nachrichtensprecher_innen oder Musikgruppen sind, ob es die sich in ihrer Aufbau nach ständig wiederholenden Produktwerbungen sind; in all diesen Bereichen wird die scheinbare Eigenschaft „schön zu sein“ genutzt, um den Marktwert eines Produktes zu steigern.” Quelle

Also: Das Medienkartell verbreitet die gesellschaftliche, diskriminierende Norm. Wie diese Norm auf die Zuschauer wirkt, kann und will man nicht erklären. Es wird eben angenommen, die Subjekte würden sie durch permanente Wiederholungen internalisieren. Nun lässt sich bei Menschen nicht der Pawlowsche Reflex eines Hundes antrainieren. Die Analyse ist damit mehr als schlimm: bösartige, kapitalistische Firmen verfolgen die niederträchtige Absicht Produkte zu verkaufen und bedienen sich dabei der “Schönheit”. Kapitalismuskritik wird zur Verschwörungstheorie. Mit einem mystischen Raunen verkündet man, dass da finstere Mächte am Werk seien, die den ahnungslosen Menschen vermittelt über Medien ihren Willen aufzwingen würden. Dies basiert auf der Annahme, Menschen wären ahnungslos, ihnen würde übel mitgespielt, all das würde ohne ihre Einwilligung geschehen.

Dabei wird vereinfachend angenommen, es gäbe heute ein einziges Schönheitsideal:

“Dass auf Werbeplakaten, in Zeitschriften und im Fernsehen fast ausschließlich Menschen gezeigt werden, die dem gängigen Schönheitsbild entsprechen (und meist als ‘weiß’ und heterosexuell dargestellt sind), ist schon so selbstverständlich, dass es kaum mehr auffällt.” Quelle

Das ist schlichtweg falsch. Man argumentiert hier, als würden wir in Zeiten von Marilyn Monroe leben. Als wäre man nicht schon im letzten Jahrzehnt im Fernsehen mit Dirk Bach und Hella von Sinnen belästigt worden. Als würde es heute nicht Serien wie “Queer as Folk” geben. Als ob nicht sämtliche soziale Gruppen im Fernsehen “zu ihrem Ausdruck” (Walter Benjamin) kämen. Es ist eben mitnichten eine verbindliche Norm, die in Medien heute vorherrscht, sondern eine Pluralität von verschiedenen Typen, die dort als Repräsentanten ihrer jeweiligen Gruppe aufgeführt werden: der schwarze, schwule Polizist; die karriereorientierte Endzwanzigerin etc. Es wird sich eine Realität ausgemalt, die nichts mit der wirklichen Welt zu tun hat: die Kritik arbeitet sich an einem Kapitalismus der fordistischen Periode ab, einhergehend mit (ästhetischer) Standardisierung. Einer Aufweichung und Vervielfachung dieser Standards im Postfordismus, die aber eben nicht ein mehr an Freiheit bedeuten, kann sie nichts entgegensetzen. Die Verwendung von Schneewittchen für die Kampagne ist auch hier symptomatisch, es wird ein idealisierter Kapitalismus beschrieben, den es so seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.

Es ist kein Wunder, dass die verkürzte Kritik von lookism nichts von der Ware wissen möchte, und stattdessen alles Übel in der Zirkulation vermutet. So kritisiert man dann auch Phänomene an der Oberfläche und extrahiert daraus seine kruden Thesen. Neben den Medien ist die falsche Erziehung daranSchuld, dass unsere Kinder… nein – der Kapitalismus so schlimm ist:

“Das Gewinn-, Konkurrenz-, und Leistungsdenken wird von klein auf erlernt und dadurch verinnerlicht.”Quelle Dabei wird ausgeblendet, dass die verdinglichten Verhältnisse eben nicht nur Schein, d.h. im Sprech der Diskursfans “sozial konstruiert” sind, sondern andererseits auch materielle Realität. Mit ein bißchen Zeichenverwirrung, denn von Produktion will man nichts wissen, wenn man ja alles von der Kommunikation ableiten kann, glaubt man, diesen Zauber aufdecken zu können. Wenn das kleine, unberührte Kind ja durch die Gesellschaft verdorben wurde, so der Schluß der anti-lookism-AktivistInnen, dann kann es ja auch wieder durch eine Umerziehungskampagne verändert werden. Kapitalismus wird zur Einstellungssache, zu einer Frage des rechten Lebenswandels. Dies folgt der klassischen Logik, entweder Teil der Lösung oder des Problems sein zu können: das Individuum kann sich frei entscheiden, ob es der Linie von Anti-Lookism folgen mag, oder lieber Teil des Problems sein mag.

Was soll zu tautologischen Sätzen wie dem folgenden noch gesagt werden?“Der Wert eines Individuums wird anhand von Verwertbarkeit/ Nutzen bemessen und es wird dementsprechend verwertet.”Quelle Marxistischer Jargon für Phrasendrescherei ohne jegliche Aussagekraft.

Man möchte hin zu wirklichen Werten, die Oberflächlichkeit der modernen Welt ist einem ein Graus. “Die inneren Werte zählen”, unerträglichen Jargon wie diesen meint die, die es schlimm findet Menschen “nach dem äußeren Erscheinungsbild zu (be)urteilen”.

Möchte man ein einfach gestricktes, dichotomes Weltbild, das die Realität auf ein simples Freund-Feind-Schemata zurechtstutzt, so ist man mit so einem Ansatz sicher gut bedient.

Die Frage bleibt offen, wodurch sich diese Kampagne vom politischen Islam abgrenzt: dort wird der “lookism” schon effektiv bekämpft mit Burka und Kopftuch. Diese werden angepriesen als Schutz der Frauen vor männlicher Belästigung und Diskriminierung. Es gibt doch schon selbstbewußte, emanzipierte Frauen der Bewegung, die die tägliche Drangsalierungen durch den Kapitalismus (und die dahinterstehenden Mächte) nicht mehr ertragen, und sich. Insofern wäre es nur konsequent, würde Schneewittchen durch Fatima Omar Mahmud ersetzt. Diese posiert auch mit einer Maschinenpistole in der Hand auf ihrem Abschiedsfoto.
Im Islam darf sich auch ein alte Frau, die nicht Schönheitsnormen entspricht, im Kampf gegen die Juden und das Kapital in die Luft sprengen – die verwirklichte Gleichberechtigung: Lookism gibt es im Gazastreifen sicher nicht. Die Frage wäre also zunächst einmal zu stellen, was es in der westlichen, kapitalistischen Gesellschaft an Voraussetzungen zur Emanzipation gibt. Es gilt die utopischen Versprechungen der Reklame zu verwirklichen: Schönheit und Luxus für alle.

Nachtrag 20.12.2006:
Markus Ströhlein betrachtet die Anti-Lookism-Kampagne in der Jungle World 50/2006 kritisch: http://www.jungle-world.com/seiten/2006/50/9033.php

Nachtrag 5.1.2007:
Die Anti-Lookism-Kampagne hat sich nochmal mit der Rolle der Werbung auseinandergesetzt und einen reflektierten Text dazu veröffentlicht. Nachzulesen unter hier