Nein, das ist keine Wohnungsanzeige. Eher das Kratzen eines Stichs. Nämlich wie sich die Suche nach einer neuen Mitbewohnerin oder einem neuen Mitbewohner anfühlt, in Berlin im Jahr 2014 anno domini.

Was bisher geschah: Die Nachfrage nach Wohnraum hat in den letzten Jahren zunehmend angezogen. Berlin wird voller und der Hype um die Stadt hat den Nachteil, dass extrem viele Menschen eine Unterkunft benötigen. Und das ist inwzwischen sehr deutlich spürbar. Als Wohnender bekommt man das selbst gar nicht so schnell mit. Okay, Blogs, Zeitungen, das “was die Leute so reden”. Aber man selbst begibt sich nur alle Jahre auf den Wohnungsmarkt.

Im Fall unserer WG war lange Zeit Ruhe. Das letzte WG-Casting war schon Wahnsinn und genau so geht es dieses Mal weiter. Anzeige einstellen und dann fühlt es sich an, als würden Emails in Taktung eines Maschinengewehrs auf das Postfach losgelassen. Wohlweislich hat man die Telefonnummer nicht mit angegeben. Den Satz, dass wir uns nur dann melden, wenn wir die Bewerberin oder den Bewerber einladen wollen, haben wir auch vorsorglich geschrieben.

Es macht was mit einem. Es fühlt sich an wie Arbeit und ich bin versucht Ideen und Tools des Projektmanagements anzuwenden. Man steht vor einer Daten- und Anfrageflut und muss diesen Wust irgendwie sichten, ordnen, sortieren. Und dann Termine vereinbaren. Ein Ticketsystem wäre nicht schlecht. Klassische Büroarbeit eben. Aus “Biete” Perspektive hat man nicht mit einzelnen, netten Bewerberinnen und Berwerbern zu tun, sondern mit einer unerträglichen Masse an Anfragen. Es steht hinter jeder Mail ein Schicksal und das kann einen teils fertig machen. Manchmal kann man das Leid und den Druck hinter der Anfrage spüren, er springt einen förmlich an. Man selbst ist in einer passiven Haltung. “Es passt halt nicht” denkt man, und ab in den Papierkorb mit der Bewerbung. Sich eine Offenheit zu bewahren, ist schwer. Glattgebügelte Marketing-Texte wie aus Vorstellungsgesprächen erkennt man gleich: “ich bin total ruhig und pflegeleicht aber gleichzeitig auch voll crazy.” Eh, ja. Verstehe. Papierkorb. Manchmal sieht man aber, dass sich Leute Mühe gegeben haben und nicht nur ihren Standard-Text rausschicken, und es passt trotzdem nicht.

Die größte Herausforderung dabei ist für mich nicht zynisch zu werden. Man möchte Leuten auch keine falschen Hoffnungen machen. Lieber gleich Absagen schicken bzw. sich gar nicht melden als Bewerberinnen und Bewerber zu Massencastings einzuladen, und dann hinterher absagen. Absagen sind immer unangenehm und das aus beiden Perspektiven. Es macht keinen Sinn, sich unendlich viele Leute anzusehen. Wozu denn? Das stresst alle Beteiligten und nährt die Illusion, es gäbe “die perfekte Kandidatin”. In Parallele zum Dating, das in etwa so gehandhabt wird, wie man bei Zalando Schuhe kauft: “Sieht schick aus, mal kurz ansehen, dann weiter zum nächsten, gibt ja genug.” Nur dass im Unterschied bei Menschen Gefühle verletzt und Erwartungen enttäuscht werden.

Ein WG-Casting liegt irgendwo zwischen Dating und Job-Interview. Eine Absage bei letzterem ist eher noch einfacher zu verkraften, von wegen “nicht persönlich nehmen”. Alle Beteiligten wissen, dass es im Berufsleben bestimmte Regeln gibt und ein Kandidat eben ungeeignet sein kann. Und das hat oft nichts mit der Person zu tun und richtet sich nicht nach der Beantwortung der Frage: “In welche Clubs gehst du so am Wochenende aus?”. Beim WG-Casting komme ich als Bewerberin oder Bewerber bei wildfremden Menschen in die Wohnung und muss innerhalb von 15-30 Minuten dicke auf Freundin oder Freund machen (aus der anderen Perpektive ist das nicht minder befremdlich: ich führe wildfremde Menschen durch mein Zimmer und erzähle, wer ich so bin). Ich gebe sehr Persönliches von mir preis, nur um dann die Wohnung zu verlassen und beim nächsten Termin wieder die gleiche Show zu erleben. Ich spiele ein Spiel mit, dessen Regeln ich mir nicht ausgedacht habe.

Ich kann es kurz auf die Begriffe Markt und Macht herunterbrechen. Früher™ war zwar nicht alles besser, das Verhältnis zwischen Angebot (freie WG-Zimmer) und Nachfrage (Bewerberinnen und Bewerber) aber ausgeglichener. Heute wird das angebotene Gut zunehmend rar und es verschiebt sich hier etwas. Und das nicht nur handfest ökonomisch sondern in den Köpfen der Leute, quasi auf Ideologie-Ebene. Über die Mietzinsentwicklung habe ich dabei gar nicht geschrieben. Dieser hat sehr deutlich nach oben hin zugelegt und unsere Wohnung, die sich vor 5 Jahren “im oberen Mittelfeld” bewegte, ist trotz regelmässiger Mieterhöhungen inzwischen ein Schnäppchen. Wohnraum ist kein optionales Luxusgut, sondern ganz elementar zum Leben und sich-Wohlfühlen.

“Ja, aber in München war das doch immer so”. Das hier ist aber nicht München. Und ich bin nicht hergezogen, um in einer Stadt wie München zu wohnen. Eine Freundin, die nach 5 Jahren aus Kanada zurückkehrte, meinte unlängst: “Die Zeiten mit billigen Mieten sind vorbei. Und dreckige Konzertlocations gibt es auch nicht mehr.”

Und die Bewohner selbst spielen mit. Jeder fühlt sich als eigener, kleiner Vermieter in spe. Das Untervermieten des WG-Zimmers, selbst für die kleinste Zeiteinheit, ist inzwischen Usus geworden. Der letzte Mitbewohner bei uns fiel bei mir in Ungnade durch genau dieses Verhalten: schön das eigene WG-Zimmer mit Aufschlag weitervermieten, den Zwischenmieter musste er selbst ja nicht aushalten. Am besten dann in eine andere Stadt ziehen, aber das WG-Zimmer halten und schön gewinnbringend untervermieten. Das hatten wir dann umgehend unterbunden und der Imperiumsaufbau als Miet-Tycoon wurde an dieser Stelle vereitelt.

Conclusion: none.