Die Verwendung des Begriffs „Gentrifizierung“ ist in den letzten Jahren massiv angestiegen. Beschäftigte das Thema davor nur eine kleine Anzahl von Expertinnen und Experten im Wissenschaftsbetrieb sowie einige linke Aktivistinnen und Aktivisten, so ist das Konzept spätestens seit dem §129a-Ermittlungsverfahren gegen einen Stadtsoziologen einer breiten Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum bekannt geworden.

Dabei kann der Begriff, der die soziale Veränderung in Stadtvierteln beschreibt, auf eine längere Tradition im politischen Aktivismus zurückblicken. Seit den 1990er Jahren wird das Konzept in Deutschland von stadtteilorientierten Gruppen verwendet, um die Aufwertung von Bausubstanz bei gleichzeitiger Veränderung der Bewohnerstruktur zu beschreiben.

Schon die autonome Szene, die sich traditionell mit Häuserkämpfen im Stadtraum beschäftigte, nutzte das Konzept für ihre Analysen. Etwa im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg 1997 (siehe Interim 432/ September 1997). Seitdem unterliegt das Konzept konjunkturellen Schwankungen und ist gekoppelt an die relativen Stärke/ Schwäche des linken Interesses für den Stadtraum. Es kann als zentrales theoretisches Konzept gelten, das immer dann angeführt wird, wenn eine als ungerecht empfundene Veränderung in Stadtteilen erklärt werden soll.

Und genau da kommt es zu folgenschweren Mißverständnissen. Nämlich dann, wenn von der eigenen Befindlichkeit auf eine theoretische Ebene abstrahiert wird, statt eine plausible Erklärung für Veränderungen in Stadtvierteln zu bieten. Der Bezug auf Gentrifizierung dient dann der Untermauerung einfacher Erklärungsmuster kapitalistischer Vergesellschaftung, die im besten Fall harmlos sind, im schlimmsten Fall regressive Züge eines verkürzten Antikapitalismus annehmen.

Im Folgenden soll nun diese Bezugnahme aus dem Spektrum linker Stadtteilinitiativen beispielhaft beschrieben und kritisiert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Berlin, wo etwa die Initiative „Media Spree versenken“ aktiv ist, die sich im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gegen mehrere Bauvorhaben an der Spree richtet.

Was heißt Gentrifizierung?
Der Begriff Gentrification, eingedeutscht: Gentrifizierung, bezeichnet den sozialräumlichen Wandel in Wohnquartieren. Als Modell der Stadtsoziologie beschreibt er eine Veränderung, die Bausubstanz, Sozialstruktur der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch des Image eines Viertels betrifft. Es ist eine Theorie des Stadtraums, die zuerst für US-amerikanische Großstädte in den 1970er Jahren formuliert und gegen Ende der 1980er Jahre auf Deutschland übertragen wurde.
Der Name wurde von Ruth Glass bereits 1964 geprägt und leitet sich ab vom englischen Wort „gentry“, dem vornehmen Bürgertum, und bezeichnet quasi einen Prozess der bourgeoisen Rekuperation: die Bürger holen sich die ehemals bürgerlichen, innerstädtischen Stadtviertel, etwa aus der Jahrhundertwende, zurück.
Allerdings sind die Forschungsergebnisse in Deutschland im Unterschied zu den USA nicht eindeutig: Gentrifizierung konnte bis heute in nur wenigen Fällen nachgewiesen werden. Außerdem gab es Kritik an den Modellannahmen, etwa von Jürgen Friedrichs. Ob und wo Gentrifizierung stattfindet, ist in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten.

Das Konzept bietet sich ideal an, um es zur Begründung eines politischen Aktivismus heranzuziehen. Das ursprünglich von Clay 1997 beschriebene Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus wirkt einleuchtend: zuerst ziehen Pioniere in ein Stadtviertel, bereiten die Aufwertung vor und werden dann von den Gentrifiern verdrängt. Dass diese Modellannahmen so nicht stimmen, stört die Gentrifizierungsgegnerinnen und -gegner nicht. Es wird auch dann gerne von Gentrifizierung gesprochen – auch wenn diese allenfalls vermutet wird, es aber keine Belege dazu gibt. So wird etwa im deutschsprachigen Bereich der Internetenzyklopädie Wikipedia der Beitrag zum Thema mit einem Bild der Simon-Dach-Straße in Berlin-Friedrichshain illustriert, auf dem eine Baustelle zu sehen ist, womit ein Wandel des Viertels suggeriert werden soll. Dazu wird eine Reihe von Stadtvierteln aufgelistet, die angeblich gentrifiziert worden seien. Forschungen, die diese Annahme belegen, werden keine benannt. So bleibt die Beschäftigung mit dem Gegenstand auf der Ebene eines Bauchgefühls. Das sozialwissenschaftliche Konzept wird von politischen Gruppen völlig grotesk überdehnt und auf nahezu alle Phänomene angewandt, auch wenn sich keine empirischen Belege dafür finden lassen. Statt Analyse und Kritik wird damit auf moralische Empörung gesetzt, die nicht weiter begründet werden muss.

Von Umstrukturierung zu Vertreibung
Schon 2001 wurde auf dem alternativen Nachrichtenportal Indymedia ein Artikel veröffentlicht, der unter dem kämpferischen Titel „Spreeufer verteidigen!“ vor einer Umstrukturierung in Berlin-Friedrichshain und Kreuzberg warnte. Darin hieß es: “Zwischen Friedrichshain und Kreuzberg steht eine enorme Umstrukturierung bevor. Das bedeutet: Verdrängung sozial Schwacher, teurere Mieten, teurere Läden, teurere Preise in Gaststätten, Zerstörung alternativer Projekte.Konkret gefährdet sind: Köpi, Wagenburg “Schwarzer Kanal”, RAW-Tempel, Deli, Maria.”
Dies seien bedrohte Projekte, während in der Gegend andererseits die Disko Speicher entstanden sei, und sich „der Musikriese “Universal Music”“ niedergelassen hätte, außerdem würden mehrere „Büro- und Geschäftshäuser“ errichtet, was die Verfasserinnen und Verfasser des Textes offenbar nicht begrüßten. So endet der Text dann u.a. mit der Parole „Keine Yuppie-Siedlung mitten zwischen UNSEREN Kiezen!“ (Hervorhebung im Original).

Umstrukturierung bedeutet demnach, dass alteingesessene Projekte verdrängt werden und neue Gebäude und Nutzungsarten entstehen, die sich durch das Merkmal „teurer“ auszeichnen. Die Frontstellung ist klar: dort die Yuppies mit teuren Konsumangeboten, hier der von Aufwertungsgegnerinnen und –gegnern als „unser“ definierte Kiez mit entsprechenden Angeboten.
Diese Argumentation stützt sich in erster Linie auf lebensweltliche Aspekte. Auch Deli und Maria sind bzw. waren Diskos, werden aber gegen die Disko Speicher in Schutz genommen. Es geht nicht generell gegen Konsumangebote, sondern nur gegen die, die nicht mit einem spezifischen, subkulturellen Lebensstil in Einklang stehen. Die subkulturellen Linken wollen mit der Politik der ersten Person das eigene Leben politisch aufladen. Konsequenz daraus ist aber, dass es der Kapitalismus auf einen persönlich abgesehen hat. Jede Veränderung im Viertel wird als Bedrohung des eigenen Lebensstil gesehen. Und diese Bedrohung wird anschließend universalisiert indem behauptet wird, dass sich die befürchteten Veränderungen generell gegen sozial Schwache richten würden. Das partikulare Interesse nach spezifischen, alternativen, Wohn- und Konsumangeboten wird als allgemeines ausgegeben. Und damit sieht man sich selbst als Hüter dieses allgemeinen Interesses; als Verteidiger des Kiezes gegen die von außen hereindringende Bedrohung.

Die Auswirkungen dieser Bedrohung werden völlig überzeichnet als Kriegsverbrechen dargestellt. So ist in verschiedenen Texten in diesem Kontext von einer „Vertreibung“ der Bewohnerinnen und Bewohner die Rede. Im Jahr 2001 untertitelte Stephan Lanz in der Berliner Wochenzeitung Jungle World einen Beitrag zu Stadtumbau mit: “Stadtplanung heißt Vertreibung.” Ganz zwanglos entledigt man sich der deutschen Geschichte und bringt einen revanchistischen Begriff in den politischen Diskurs ein. Die Lobby der selbsternannten Vertriebenen wird es den linken Gentrifizierungsgegnerinnen und -gegnern danken, dass sie so zur Normalisierung eines neurechten Kampfbegriffs beitragen. Denn er bezieht sich in der politischen Debatte in Deutschland in erster Linie auf die zum Verbrechen stilisierte Umsiedlung Deutscher nach Ende des zweiten Weltkrieges. Genau an dieser Argumentation, die Vertreibung als zu ahndendes Verbrechen sehen will, wird im Rahmen des Gentrifizierungsdiskurses angeknüpft.
Die Verwendung des Begriffs „Vertreibung“ in diesem Kontext ist mehr als inadäquat. Der Begriff assoziiert Gewalt und Diskriminierung. Nur ist bei Gentrifizierung keine physische Gewalt im Spiel. Niemand wird mit dem Gewehrlauf im Rücken aus seiner Wohnung gejagt. Es kann bei einer Aufwertung dazu kommen, dass einkommensschwache Menschen keine günstige Wohnung im gleichen Quartier mehr finden – ja – nur wäre dann nicht von “Vertreibung” sondern von “Verdrängung” zu sprechen. Das mag für den einzelnen einen Zwang darstellen was auch nicht beschönigt werden soll. Dies zu einem Verbrechen zu stilisieren ist aber völlig unpassend – es geht hier um einen Wohnortwechsel und nicht die Vernichtung der physischen Existenz.

Aber soviel Differenzierungsvermögen ist nicht mehr drin, wenn man sich im Endkampf gegen die anstürmenden Horden von außen wähnt, gegen die es den Kiez zu verteidigen gilt. Denn unterhalb der nackten Existenzangst wird erst gar nicht argumentiert. So werden dann Überschriften in einer Indymedia-Printausgabe 2007 zum Thema benannt wie: “Geld oder Leben – her mit euren Wohnungen” oder “Gentrifizierung ist Terror – Wohnen ist Menschenrecht”. Es wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut und die Angst geschürt vor einer lauernden kriminellen Absicht, die es auf das Leben von Bewohnerinnen und Bewohnern eines Viertels abgesehen hätte.

Die Suche nach dem Schuldigen: Heuschrecken, Finanzkapital und Yuppies
Die Erklärungen des Kapitalismus, die von linken Initiativen, genannt werden, sind relativ einfach. Konkret benennbare Akteure werden für Veränderungen verantwortlich gemacht. Statt Kapitalismuskritik wird Schuldzuweisung betrieben.

Vermieter kommen in dieser Kritik zunächst nicht vor. Sie sind erst dann kritikwürdig, wenn sie dem subjektiven Empfinden nach zuviel Miete nehmen. Nicht das Wohneigentum als solches steht in der Kritik, sondern nur das als „zu teuer“ empfundene. Allenfalls „teure“ oder „steigende“ Mieten werden moniert. Damit ist die Vorstellung eines gesunden Kapitalismus, der durch Wucherer pervertiert wird, schon angelegt. Nicht der Vermieter als abstrakte Charaktermaske, sondern das Bild des konkreten Bauspekulanten wird beschworen. Genauso gilt der „Yuppie“ als eine Art Miniaturheuschrecke, die sich das Viertel einverleiben will. Dabei kommt der Yuppie immer von außerhalb: „Schwaben raus!“ wird etwa in Berlin Friedrichshain an Wände gekrakelt, um gegen volksfremde Schädlinge mobil zu machen.

Statt Ökonomiekritik wird eine moralische Wertung mit subjektiven Vorstellungen von guten, angemessenen versus schlechten, überteuerten Preisen betrieben. Kapitalismus wird so zur Einstellungssache. Es tragen böse Charakterzüge von Menschen Schuld, wenn Mieten steigen. Wo in der wissenschaftlichen Diskussion um Gentrifizierung wenigstens teilweise strukturelle Prozesse beschrieben werden, fällt dies im linken Denken weg. Hier geht er nur noch darum, benennbare Akteure verantwortlich zu machen. Spekulanten, Heuschrecken und Yuppies, sind die erklärten Hassobjekte. Und damit weiß man sich in guter Gesellschaft mit Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, wie ein Zitat aus der Zeitung belegt: “Bei so viel geballter Bautätigkeit und internationaler Investoren-Macht ist es nicht verwunderlich, dass im Kiez die Heuschrecken-Ängste umgehen.” (Berliner Morgenpost vom 11.5.2007)

Insbesondere die Debatte um den strukturell antisemitischen Gehalt des „Heuschrecken-Vergleichs“ der letzten Jahre scheint hier weder zur Kenntnis genommen, geschweige denn umgesetzt worden zu sein. Nicht nur die radikalen Teile der Bewegung, auch in der Zeitung des Berliner Mietervereins „MieterEcho“ finden sich Beiträge – u.a. von Andrej Holm (siehe Mieter Echo 310/Juni 2005 und 319/Dezember 2006) – die die Heuschrecken-Metapher als Schreckgespenst bedienen. Das Finanzkapital als Ungeziefer, das über das Volk herfällt. Diese Art von Metapher hat eine beachtliche historische Tradition in Deutschland.
Der Klassiker der verkürzten Kapitalismuskritik – raffendes versus schaffendes Kapital – taucht hier in modifizierter Form auf. Das raffende Kapital sind Konzerne, die durch als spekulativ beschriebenes Handeln unrechtmäßig Gewinne einfahren; den Platz des schaffenden Kapitals nehmen die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils und deren wahlweise als multikulturelle oder alternative Kultur beschrieben Lebensweise ein. Hier das arme Volk – dort die profitorientierten Parasiten, die es ausbeuten. Damit wird „die Verantwortung für alle negativen Erscheinungen einer kapitalistischen Gesellschaftsform allein denjenigen Menschen zugeschrieben, die mit dem (Finanz-)Kapital identifiziert werden, und deren Prototyp „der Spekulant” ist.“ (Hamburger Erklärung gegen Antisemitismus).

Und es ist sicherlich kein Zufall, dass man sich besonders von US-amerikanischen Konzernen bedroht sieht: „KEIN Disney in Kreuzberg“ wurde auf Flugblättern der Initiative „Media Spree versenken“ eingefordert. Die Bedrohung der Gemeinschaft kommt immer von außen und der Hass auf die USA sitzt tief. Die Parallelen zu einer Kapitalismuskritik von rechts sind offensichtlich. Auch diese operiert immer mit den platten Gegenüberstellungen von unschuldigem Volk und personifizierten Ausbeutern. Und den Hass von vermeintlich amerikanische Firmen teilen linke und rechte Kritik. Gerade im Zusammenhang mit neuen Bebauungsprojekten in Berlin erfolgt immer wieder ein mythisches Raunen mit dem Verweis auf Amerika, woher die Investoren angeblich stammen würden. Und konkret stellt sich die Initiative „Media Spree versenken“ mit einer mobilen Suppenküche vor der Mc Donalds-Filiale in Kreuzberg, um dort den Kulturkampf deutsche Suppe gegen US-imperialistisches Fast-Food auszutragen. Die Angst vor Überfremdung des Stadtteils wird auf amerikanische Konzerne projiziert, die als Repräsentanten des Kapitalismus angesehen werden und die die Moderne in das Viertel bringen wollen.

Sicher, die Gentrifizierungsgegnerinnen und –gegner betreiben keinen offenen Antisemitismus. Sie schüren aber ein in Deutschland weit verbreitetes Ressentiment gegen den Kapitalismus, das in Teilen dem Antisemitismus verwandt ist, worauf etwa Thomas Schmidinger seit Jahren aufmerksam macht. Und damit vertritt man eben keine Minderheitenposition einer marginalisierten Randgruppe, sondern hat weite Teile der Bevölkerung hinter sich. Schließlich stammte die Heuschrecken-Metapher 2005 nicht von der NPD, sondern dem damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Und diese Vorlage wird bis heute von Stadtforschern bis hin zu autonomen Gruppen, etwa in Aufrufen zum revolutionären 1. Mai 2007 und 2008, verwendet.

Der Vergleich scheint sich zum echten Dauerbrenner zu entwickeln: Im Herbst 2007 wurden in der Broschüre „Finanzkapitalismus – Geldgier in Reinkultur“ der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di klassische Argumente einer verkürzten Kapitalismuskritik gesammelt. Der bodenständige Kapitalismus mit Nationalstaat funktionierte danach tadellos, bis irgendwann aus böser Absicht heraus der Spekulation die Tore geöffnet wurden und seitdem „Raffgier“ und „Aggressivität“ unter Unternehmern und anonymen Kapitalgesellschaft herrschen würde. Mit anderen Worten: der „Kasinokapitalismus“ sei ausgebrochen. Das sorgte dann sogar gewerkschaftsintern für Protest. Die Finanzkapital AG von ver.di Stuttgart veröffentlichte eine Kritik, in der u.a. makroökonomisch die Annahmen der Finanzkapitalismusbroschüre widerlegt wurden. Statt dem Verhalten von einzelnen Akteuren sei vielmehr die Krise der keynesianistischen Regulation der Ausgangspunkt für eine Flucht des Kapitals in den Finanzsektor. Von der Finanzkapital AG wurde klar benannt: Der Befund „Heuschrecken“ kann keine Erklärung für die Funktionsweise des Kapitalismus sein.

An diesem Befund lässt sich anschließen und diese Aussage weiter zuspitzen: Das Gerede von „Heuschrecken“ und „Spekulanten“ verhindert die kritische Auseinandersetzung mit Ökonomie. Denn ohne diese müßte man sich der unbequemen Wahrheit stellen, dass die Verhältnisse ausgehend von Warentausch und -produktion strukturiert sind und eben nicht nur dort, wo die Interessen von Konzernen und Finanzkapital vermutet werden.
Das Problem mit dem Kapitalismus scheint für die Heuschreckenjäger einzig in der Zirkulation des Kapitals zu liegen – wo wie von Geisterhand aus G G’ zu werden scheint. Erklärt wird damit nichts, und so bedarf der Konstruktion von moralischer Verdorbenheit um sich die Verwandlung von Geld in mehr Geld zusammenzureimen. Die abstrakte Herrschaft des Kapitals wird so auf klar benennbare Akteure reduziert, die am Profit interessiert seien. Im besten Fall ist dieser Ansatz einfach nur falsch, im schlimmsten öffnet er dem personalisierenden Ressentiment und einer negativen Aufhebung der Warengesellschaft Tür und Tor.

Gute und schlechte Läden
Wie schon auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wird auch auch in der Gewerbestruktur ein „falsch“ gefunden, dem ein „richtig“ gegenübergestellt wird. Und ausgehend davon wird die Kampfzone wieder ausgeweitet. Nachdem inzwischen vermehrt die wissenschaftlichen Texte zum Themenkomplex Gentrifizierung rezipiert wurden, wird geschlußfolgert, dass die „Pioniere“, also genau die postiv-besetzten, Alternativen, Bunthaarigen, Unangepassten den Prozess der Umstrukturierung anstoßen. Das weitet das den Kreis von möglichen Schuldigen massiv aus. Inzwischen wird Kulturprojekten und Zwischennutzungen unterstellt, sie würden „Totengräber ihrer selbst“ (Mieter Echo Nr.324/ Oktober 2007) – und auch des Stadtteils werden. Schon werden auf Blogs Stimmen laut, die meinen, dass der Stadtteil Neukölln zu viele Kneipen und Galerien hätte.
Die militante Gegenwehr der Kiezgemeinschaft gegen die Überfremdung scheint aber kaum noch eine Rolle zu spielen. Wurde in den 1980er Jahre in Kreuzberg noch Fäkalien, Brandsätze oder Handgranaten in unerwünschte „Yuppieläden“ geworfen, so werden heute maximal noch Autos angezündet (wobei als Luxusauto schon mal ein Renault Twingo gilt).
Der Verdacht, dass durch bestimmte Ladenneueröffnungen ein Viertel gefährdet ist, bleibt. Die Beurteilung wird dann im Alltagsverständnis daran festgemacht, ob ein Dönerimbiss und Spätkauf (gut) versus Kneipe und Galerie (schlecht) eröffnet wird. Das wird dann mit teilweise absurb anmutenden Argumenten begründet. So Andrej Holm: „Im Gegenzug verschlechtert sich die bisherige Qualität für sozial benachteiligte Gruppen im Quartier. Typische Beispiele für solche Entwicklungen sind die Verdrängung von preiswerten Läden mit Waren des täglichen Bedarfs oder spezielle Angebote für migrantische Bevölkerungsgruppen wie etwa Telefonshops. An deren Stellen entstehen Spezialgeschäfte für den gehobenen Bedarf wie Feinkostlebensmittel oder Edel-Boutiquen.“ (Mieter Echo Nr.324/ Oktober 2007).

Wenn man nur wollte, ließe sich schon in täglichen Leben sehen, dass die Unterscheidung in gute, kleine Geschäfte und schlechte Konzerne nicht aufgeht. Wo es bei größeren Unternehmen einen festen Arbeitsvertrag für die Angestellten gibt, darf der Ladenbesitzer im kleinen Geschäft rund um die Uhr stehen und sich selbst ausbeuten – ganz ohne irgendeine Absicherung. Und das sogenannte „Cannibalizing“, also das Eröffnen von sehr vielen Filialen in einem Gebiet, das Ketten wie Starbucks vorgeworfen wird, betreiben kleine Läden viel extremer: wenn sich in bestimmten Straßenzügen in Berlin in fast jedem Haus ein kleiner Kiosk befindet. Das ist das Elend der Marktkonkurrenz, der alle Subjekte unterworfen sind. Nur sind diese Verhältnisse wenig greifbar und bieten einen weitaus schlechteren Angriffspunkt als die Projektionsleistung Konzerne und Heuschrecken.

Dass die Zustände in Stadtvierteln vor einer Aufwertung genauso kritikwürdig wie während dessen sind, wird verdrängt. So erfasst eine Kritik der Aufwertung ausschließlich Merkmale von Veränderungen. Es geht nur darum, die Veränderung als „schlimm“ zu brandmarken. Dass ein Prozess aus mindestens zwei Zuständen besteht, wird entweder ignoriert – oder nur ein Zustand kritisiert. Gerade an der Struktur von Geschäften und Konsumangeboten wird eine angeblich negative Veränderung eines Stadtteils festgemacht.

Privatisierung und Verstaatlichung
Und daran knüpft sich ein bestimmter Bezug auf den öffentlichen Raum. Wie lässt sich dieser bestimmen? Zunächst ist der öffentliche Raum nicht der private Raum. Der private Raum ist abgegrenzt, nicht allgemein zugänglich. Der öffentliche Raum dagegen, für jedermann zugänglich.
Diese Begriffe setzen notwendigerweise den demokratischen Staat voraus. Das Begriffspaar Öffentlichkeit und Privatheit ist notwendigerweise ein bürgerlich-demokratisches, das Eigentumsverhältnisse impliziert. Denn auch der öffentliche Raum ist nicht ohne Besitzer. Der Staat bzw. das Volk als Souverän sind nach der bürgerlichen Auffassung die Besitzer desselben.

Im Zusammenhang mit Gentrifizierung wird ein Verschwinden des öffentlichen Raumes beklagt. Wer hier eine “Privatisierung” kritisiert, will gegen einen Verkauf öffentlicher Grundstücke an private Besitzer mobil machen. Und daran knüpfen sich bestimmte Vorstellungen, wie sich Ökonomie und Staat zueinander verhalten.
In der Indymedia-Printausgabe zu “Stadtumbau und Verdrängung” von 2007 heisst es im Artikel “Spreeufer neudenken”: “Die Konzerne, die sich für „Mediaspree“ engagieren, haben nur Interesse an maximalem Profit. Egal, ob kommerzielle Kultur (O² World), Büroflächen oder Eigentumswohnungen errichtet werden, Zweck der Bebauung ist die privatwirtschaftliche Gewinnerwartung. Der Verkauf der städtischen Grundstücke bedeutet die Privatisierung öffentlichen Raumes.”
Und weiter: “Berlin hat wesentlich mehr von Spreeuferbereichen mit öffentlichen Nutzungen. Die Menschen, die in Kreuzberg und Friedrichshain wohnen, haben – etwa als ArbeiternehmerInnen und Mieter Innen – ein eigenes Interesse, das sich nicht mit dem Interesse der „Investoren“ deckt: „gute“ Arbeit zu gutem Lohn, günstige Mieten und kulturelle Angebote, öffentlich nutzbare Freiflächen.”
Wenn Linke sich beschweren, dass Volksbesitz verkauft würde, handeln sie als besorgte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die bestimmte Vorstellungen davon haben, wie das Verhältnis von Staat und Markt geregelt sein sollte. Zwar wird einerseits erkannt, dass Unternehmen ein Profitinteresse haben, andererseits wird hier städtisches – bzw. staatliches Eigentum – als gut und schützenswert gesehen. Es sei den allgemeinen Interessen besser gedient, wenn bestimmtes Eigentum in Händen des Staates liege. Einzig das Verhältnis zwischen Staat und Markt solle zugunsten des Staates verschoben werden. Es geht also um den Erhalt von öffentlichen, d.h. verstaatlichten Flächen. Der Staat gilt als neutrales Instrument, das zurückerobert werden soll. Es ist Etatismus, der Traum vom starken Staat, der hier als linke Politik verkauft werden soll. Der Staat soll als Verwalter der Interessen des Volkes durch reglementierende Eingriffe diese gegen das Kapital durchsetzen. Und das Kapital – das sind nach dieser Lesart ausschließlich Konzerne. Dies deckt sich mit Vorstellungen etwa von ATTAC, die auch als Allheilmittel gegen die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ein mehr an staatlicher Kontrolle – zumindest im Wirtschaftsbereich – fordern.

Deutscher Sozialstaat statt Kapitalismuskritik
Die Interessen zwischen Staat und Bevölkerung fallen dabei in eins. Schließlich hat “Berlin” ja angeblich mehr davon, wenn der Standort aufgrund eines zufriedenen Proletariats brummt. Am Ende kommt dann doch ein „wir“ heraus, welches sowohl die nationale Staatlichkeit als auch die funktionierende Ökonomie affirmiert. Letztenendes will man nichts anderes als einen perfekt funktionierenden Kapitalismus. Die politischen Forderungen an den Staat lauten: Arbeit für alle, alles soll billig sein und dann noch staatlich finanzierte Kultur. Und der Staat möge bitte das alles finanzieren.

Inakzeptabel wird es besonders dann, wenn das Beschriebene von linken Gruppen als “widerständige Praxis” und mit dem Anspruch auf Kapitalismuskritik vorgetragen wird. Und das ist genau dasselbe Horn, in das auch die angeblich kritische Stadtsoziologie stößt. Andrej Holm etwa schreibt in seiner Dissertation „Die Restrukturierung des Raums“ (S.147): „Die Ökonomie ist in marktwirtschaftlichen Gesellschaften eine bestimmende und dominante Spähre [sic!]. Insbesondere politische Entscheidungen, die sich am Gemeinwohl orientieren, müssen den marktwirtschaftlichen Prinzipien oft abgetrotzt werden.“
So geht Sozialismus in Deutschland: Gemeinnutz geht vor privatwirtschaftlichem Eigennutz. Der Staat soll als Verbündeter das entgrenzte Kapital in seine Schranken weisen, denn ohne sozialstaatliche Reglements drohe ein Elend wie im Manchester des 19. Jahrhunderts. Kapitalismus wird nach dieser Lesart zu „marktwirtschaftlichen Prinzipien“, die neben anderen Ideen der Gesellschaft existieren.

Statt die kapitalistische Produktionsweise als soziales Verhältnis zu benennen, dass durch Waren- und Kapitalfetisch die Gesellschaft strukturiert, und dem alle Mitglieder unterworfen sind, wird das Kapitalverhältnis auf Firmen, Bauprojekte, Spekulanten externalisiert. So wird ein antagonistisches Bild aufrechterhalten, bei dem auf der anderen Seite das widerständige Soziale steht, das immer neuen Angriffe durch die fremden Kolonisatoren ausgesetzt ist. Und zur Verteidigung des Sozialen wird der Staat affirmiert. Ein klassischer Fall von Sozialstaatslinken. Der Staat ist an sich ganz gut, er wurde nur irgendwann an die marktorientierte, neoliberale Verschwörung verraten und wird seitdem für fremde Zwecke gebraucht, die nicht mehr dem Volke dienen. Genau diese Vorstellungen sind keine Ideen linker Bewegungen sondern bis hin zu SPD und Gewerkschaften verbreitet.

Der Weg durch die Institutionen und bürgerliche Partizipation
Welchen Weg nimmt der Protest gegen Stadtumbau? In Hamburg wurde in den letzten Jahren gegen die Umwandlung eines Turmes im Schanzenpark in ein Mövenpick-Hotel demonstriert, teils mit militanten Aktionen. Allerdings wurde der Kampf gegen Staatsmacht und Investoren verloren; das Hotel 2008 eröffnet, und danach verschwand diese Kampagne von der Bildfläche.
Anders in Berlin. Dort ist die Kampagne „Media Spree versenken“ immer noch aktiv, allerdings lässt sich ein deutlicher Wandel in der Ausrichtung feststellen. Wurden am Anfang vermehrt radikal anmutende Flugblätter veröffentlicht, in denen die sich ausbreitende Konzernherrschaft angeprangert wurde, wird sich inzwischen zunehmend auf Recht und Ordnung berufen. Mit Hilfe eines BürgerInnenbegehrens möchte man das „Media Spree“ Projekt stoppen und sammelte fleißig Unterschriften – 16.000 wurden an die zuständigen Stellen überreicht. Akribisch wie ansonsten nur deutsche Schrebergartenbesitzer hat man nachgemessen und versucht den Bauprojekten mit Hilfe deutscher Gesetzestexte Fesseln anzulegen: „Einhaltung der Berliner Traufhöhe von 22 Metern“ wird inzwischen eingefordert. Dass es ansonsten genau die Anwendung dieser Vorschriften ist, die Bewohnerinnen und Bewohnern von Hausprojekten und Wagenplätzen das Leben zur Hölle macht, auf diese Idee kommt man nicht. Denn sehr oft wird gegen diese Projekte der Vorwurf „städtebaulicher Missstand“ aufgeworfen.

Statt auf Verbalradikalismus wird inzwischen auf „direkte Demokratie“ gesetzt, die in Form des BürgerInnenbegehrens die Stadtteile vor Veränderung bewahren soll. Und auch der Tonfall ist nicht mehr so kämpferisch sondern gleicht sich dem langweiligen Geplänkel an, wie es im politischen Tagesgeschäft der Parteipolitik üblich ist. Von der „historischen Chance“ ist dann zu lesen, die Berlin angeblich verpassen würde ohne begrünte Flussufer, die von Media-Spree-Gegnerinnen und –gegner eingefordert wird. So ist man von der einst radikalen, linken Bewegung bei der Form der Bürgerinitiative gelandet. Entkräftet diese Entwicklung nun den Einwand, dass dort personalisierende Kritik betrieben würde? Wohl kaum, denn wie oben gezeigt wurde ist diese Form des regressiven Antikapitalismus keine Domäne politisch marginalisierter Randgruppen, sondern entspringt der Mitte der Gesellschaft.

Fazit
Die von Stadtteilinitiativen an Gentrifizierung betriebene Praxis stellt bei näherer Betrachtung keineswegs eine kritische Intervention dar. Was von den genannten Gruppen und Personen eingefordert wird, stellt keine kritische Fragen, sondern bedient ein Bedürfnis nach einfachen Antworten und klar benennbaren Schuldigen. Dazu wird sich eines moralisierenden Gut-Böse-Schemas bedient, mit dem Akteure in Freund und Feind unterteilt werden.
Die Grundlagen kapitalistischer Ökonomie bleiben dagegen von Kritik ausgespart, einzig die Effekte eines Wandels werden kritisiert. So wird konservativ das Bestehende affirmiert und die Kiezgemeinschaft gegen das Kapital, das als Finanzkapital externalisiert wird, verteidigt. Als Partner in diesem Kampf sieht man den Staat, mit dessen Hilfe man Investoren, ausländische Konzerne und andere unerwünschte Eindringlinge zurückdrängen möchte.

Ärgerlich ist daran der Etikettenschwindel, der hier betrieben wird. Denn die Proteste werden als „antikapitalistisch“ vermittelt, wo sie einen funktionierenden Kapitalismus mit starkem Staat einfordern. Zum anderen ist daran ärgerlich, dass sämtliche Diskussionen um personalisierende Kapitalismuskritik an diesen Kreisen vorbeigegangen zu sein scheinen. Unbeirrbar werden Positionen vertreten, die hinter jegliche Minimalstandards zurückfallen.
Und ärgerlich ist auch, mit welcher Erfahrungsresistenz ein Bedrohungsszenario aufrecht erhalten wird, nach dem Menschen gezielt von Kapital und Konzernen aus Stadtvierteln vertrieben werden sollen. Das theoretische Konzept Gentrifizierung wird als Begründung verwendet, um diese kruden Behauptungen zu rechtfertigen.

Dagegen bleibt die Option einer Kritik des Kapitalismus offen zu halten, die diesen als allumfassende Produktionsweise benennt. Dies bedeutet ein verdinglichtes soziales Verhältnis, das über Waren- und Kapitalfetisch vermittelt Ideologien, d.h. notwendig falsches Bewußtsein, hervorbringt. Und dieses notwendig falsche Bewußtsein, das den Schein der Verhältnisse potenziert, sollte zuallererst kritisiert werden. Eine Kritik an den falschen Verhältnissen müsste weiterhin Markt und Staat gleichermaßen im Fokus haben. Die Sachzwänge kapitalistischer Produktionsweise wären als solche zu benennen und nicht etwa zu leugnen. Und daran anknüpfend wäre bürgerliches Wohneigentum zu kritisieren. Denn dieses wird nicht erst im Jahr 2008 in bestimmten Stadtvierteln eingeführt. Erst damit wären die oben aufgezeigten Fallgruben von personalisierenden Erklärungsmustern zu umgehen und eine falsche Affirmation der Verhältnisse zu vermeiden. Eine materialistische Kritik stadträumlicher Prozesse wäre erst noch zu formulieren.

Der Artikel basiert auf einem Vortrag, der im Dezember 2008 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kulturdisplace gehalten wurde.