Stewart Home
Stewart Homes unterteilt sein Werk selbst grob in “Anti-Novels” und “Non-fiction”. Dieses Buch ist letzterer Kategorie zuzurechnen. Es ist eine lose Sammlung von Aufsätzen und Artikeln aber auch Manifesten und Interviews von und mit Home. Ich hatte vom Autor bisher nur die deutsche Übersetzung seines Romans “Pure Mania” gelesen, was aufgrund der grausigen Übersetzung doch eine eher unangenehme Erfahrung war (das englische Original soll besser sein).
Die vorliegende Aufsatzsammlung von 1995 ist dagegen bedeutend unterhaltsamer und informativer, da sie Einblicke in die Wirkungen der neoistischen Strömungen im Umfeld von Home bietet. Der Aufbau ist chronologisch geordnet und beginnt ab Mitte der 1980er Jahre.

Neoismus, die Kunstbewegung, die keine sein wollte, hat Ursprünge in Dadismus, Surrealismus, Futurismus, Plagiarismus, Situationistische Internationale, Fluxus und MailArt und Punk
Home schreibt über die Geschichte, beteiligte Künstler und grundlegende neoistische Aktionen und Taktiken wie etwa das Erfinden von Kollektividentitäten wie Karen Eliot und Monty Cantsin.
Insbesondere die von ihm gegründete “Neoist Alliance” wird detailliert beschrieben, ebenso wie der von Home ausgerufene Kunst-Streik von 1990-1993. Da es sich bei dem Buch um eine Aufsatzsammlung handelt wiederholt sich einiges, was für den Erstleser aber weniger störend ist, da sich einzelne Sachverhalte so einprägen.

Ein Kerngedanke bei Home ist der Angriff auf die Kunst. Politisch von libertären Ideen und der Situationistischen Internationale beeinflußt, entwickelt er ein künstlerisch-politisches Programm mit dem Ziel der Abschaffung der Kunst. Schon bei Guy Debord taucht der Gedanke des Plagiats auf (ebenso bei Isidore Ducasse zu finden), der von den Neoisten aufgegriffen wurde. Bei Debord gilt das Entweden von fremdem geistigen Eigentum noch als notwendige Bedingung für die Weiterentwicklung von Ideen. Bei Home wird es im Kunstbereich als Plagiarismus zu einer Taktik gegen den Maßstab der “Originalität” des bürgerlichen Künstlers (S.49) und damit zu einer direkten Aktion gegen die bürgerliche Kunst.

Die Lektüre ist auf jeden Fall anregend, allerdings bleiben politisch einige Fragen offen. Das penetrante Beharren auf einem Klassenstandpunkt kann man Home noch verzeihen, andere Punkte stoßen jedoch übel auf:
– Die positive Bezugnahme auf den Futurismus und insbesondere Filippo Tommaso Marinetti unter völliger Ausblendung von dessen ästhetischer Glorifizierung von Krieg und vor allem die Kooperation mit Mussolini.
– Das (Selbstmord-)Attentat der Japanischen Roten Armee Fraktion (JRA) am 30. Mai 1972 im israelische Flughafen Lod will er als Umsetzung von André Bretons Forderung (mit einer Pistole in eine Menschenmenge feuern) als surrealistischen Akt deuten. Antisemitismus fehlt auf der politischen Landkarte von Home. De facto wurde hier die Taktik des militärischen Angriffs durch Selbstmord durch die Kooperation von JRA und PFLP in den Nahen Osten exportiert (S.147), Croitoru spricht vom ersten Selbstmordattentat.

– Ein Hauptmanko des Ansatzes von Stewart Home ist die mangelnde Reflexion der eigenen Rolle. Die ständige positive Selbstbeschreibung als “Avantgarde”, die sich im Kampf mit der kulturellen Elite befindet, deutet auf ein simples Modell hin. Homes Aktionen sind die Verlängerungen des Klassenkampfs in der Kunst. Das Proletaritat gegen die Bourgeoise in der Fabrik, hier die Avantgarde gegen den etablierten Kunstbetrieb. Die Stellung im Produktionsprozess wird zur Einstellungssache. Möglicherweise waren in den 1980er Jahren subkulturelle Karrieren im (Hoch-)Kulturbetrieb weniger üblich, heute dagegen scheint das von Home beschworene “Establishment” kaum noch als Feindbild zu taugen. Auch subkulturelle Strömungen mit Avantgardegestus taugen im besten Fall als Scouts für die spätere organisierte Verwertung der von ihnen gefundenen Trends. Die Übertragung des Klassenkampfs auf die Kunst verschleiert dazu, dass dort eben nicht freie Lohnarbeiter sondern Klein- und Kleinstproduzenten um Kunden konkurrieren. Ein Streik ist hier mitunter ähnlich sinnvoll wie einen Fabrikbesitzer dazu aufzufordern, er möge doch aus Protest seine Fabrik eine zeitlang schließen.
Und vor allem: selbst nach den eigenen Maßstäben, nämlich Bourdieu und dem Konzept des Distinktionsgewinn, sollte für Home erkennbar sein, dass Gesellschaft in allen Teilbereichen nach den gleichen Spielregeln funktioniert: einen satten Distinktionsgewinn streicht schließlich vor allem die selbsternannte Avantgarde mit ihrem Lebenswandel der Bohème ein. So gesehen ist die Strategie “subkulturelle Avantgarde” eine effektive Abkürzung der Karriere: man spart Zeit und Mühe des Wegs durch die Institutionen (traditionell bedeutet Kunst verschulte Ausbildung und umfangreiches Wissen, beides muss langwierig erworben werden) und wird denoch aufgrund des subkulturellen Kapitals als Künstler anerkannt. Statt des anstrengenden Weges genügt dann ein Verweis in der Biographie, dass man jahrelang etwa in ranzigen Löchern gehaust oder Ecstacypillen runtergewürgt hat zur glaubhaften Versicherung der Authentiztät.

Stewart Home erkennt zwar, dass der Kunstbetrieb Karriereplanung erfordert. Dass er selbst genau dasselbe betreibt, will er nicht sehen: auch Home arbeitet am Mythos, nämlich dem des rebellischen Künstlers Stewart Home, der in unbeugsamer Pose die Windmühlen des etablierten Kunstbetriebs bekämpft. Das Scheitern der historischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts wird von ihm nicht reflektiert, ebensowenig dass er – ohne dies so zu nennen – die Entstehung eines revolutionären Subjekts im Kunstbetrieb erhofft.
So ist auch das Schreiben über den Neoismus ambivalent: einerseits ist es eine Weitergabe des Wissens und der Erfahrung von Gegenkulturen wie von Home richtig erkannt (S.122), andererseits sorgt die Historisierung des Neoismus für die Kanonisierung in den Kunstbetrieb. Da bleibt dann vom Anspruch temporäre Kunstwerke schaffen zu wollen wenig übrig. Was wäre der Neoismus, wenn niemals die Bezeichnung “Neoismus” erfunden worden wäre und auch niemand etwas darüber geschrieben hätte? So bleibt von der Beschreibung als Anti-Kunst am Ende nur das “Kunst” übrig. Am konsequentesten ist da einzig der neoistische Künstler Graf Haufen, der den von Home 1990 ausgerufenen Kunststreik bis heute nicht beendet hat.

Bei aller Kritik: die meisten der beschriebenen Aktionen in dem Buch sind auf jeden Fall unterhaltsam, mitunter haben sie sogar einen aufklärerischen Charakter.
Mit dem gefakten Aufruf “Smash the fatwa, burn the Koran!” – angeblich eine geplante Koranverbrennung von Salman Rushdie, nachdem über ihn die Todesfatwa verhängt wurde – versuchte Home 1993 die “kulturelle Elite” zu attackieren und schaffte dabei eine heillose Verwirrung. Niemand wußte, ob die Aktion gegen Rushdie gerichtet war und wer dahinter steckte.
Ebenso bediente sich Home gerne der Protokollen der Weisen von Zion und anderer antisemitscher Schriften, deren Sinn er umwandelte. So basiert das Gründungsmanifest der “Neoist Alliance” auf dem Pamphlet “Plan of the Jews” des notorischen Antisemiten und Faschisten Arnold Leese (S.121). Hier werden die ursprünglichen Ideen positiv gewendet und ins irrwitzige überdreht. So ist es das religiöse Ziel der Alliance: “To undermine all monotheistic creeds and to propagate crazy cults, mysticism, para-science and anti-philosophies.” (S.93)
Gerade die scheinbare(?) Vorliebe für Mystizismus und Geheimgesellschaften wird so gnadenlos ins Absurde getrieben. Etwa bei der Feier zum 217. Jahrestag der Gründung des Illuminatenorden 1993 (S.122). Gerade die Verbindung von scheinbar unzusammenhängenden, hat teilweise enorme Sprengkraft: Etwas wenn die neoistische Allianz gegen ein Konzert des Komponisten Karlheinz Stockhausen demonstriert und dort auf die Gegendemonstration des “Temple Ov Psychic Youth” trifft und sich mit dieser ein psychisches Duell auf der Straße liefert. Herrlicher Unsinn; Verwirrung stiften.

Das Buch ist auf jeden Fall zu empfehlen. Wer sicher weiter für die Geschichte der künstlerischen und politischen Gruppen interessiert, auf die sich Home bezieht, dem sei “The Assault on Culture. Utopian Currents from Lettrism to Class War” empfohlen. Hier beschreibt Home chronologisch die verschiedenen Gruppierungen von den Vorläufern der Situationisten an bis zum Neoismus und der anarchistischen Gruppe Class War.

Home, Stewart (1995): Neoism, Plagiarism & Praxis. Edinburgh & San Francisco: AK Press

In Deutschland können die Bücher von Stewart Home bezogen werden über den Onlineshop von Praxis Records: http://praxis.c8.com/catalog/

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Webseite von Stewart Home: http://www.stewarthomesociety.org